Mannes finden, den ich nicht liebte?" Und da alle Zumuthungen und Gespräche dieser Art Jenny sichtlich für längere Zeit verstimm- ten, war es Herr Meier selbst, der seiner Frau anrieth, nicht in Jenny zu dringen, sondern ruhig eine Zukunft zu erwarten, in der die Er- innerung an Reinhard ihren Einfluß auf Jenny verloren haben und die Vorschläge ihrer Freunde leichter Gehör bei ihr finden würden.
Aber diesen Zeitpunkt sollte Madame Meier nicht erleben; ein plötzlicher, schmerzloser Tod entriß sie ihrer Familie. Wie tief der Verlust empfunden wurde, wie er die Engverbundenen nur noch fester aneinander schloß, wie Jeder die Lücke auszufüllen strebte, die dadurch in den Herzen der Andern entstanden war, bedarf kaum einer Erwähnung. Nun stand Jenny allein an der Spitze ihres Hauses, auf sie war ihr Vater gewiesen. Dies Bewußtsein erhob sie in ihren eigenen Augen und tilgte jeden
Mannes finden, den ich nicht liebte?“ Und da alle Zumuthungen und Geſpräche dieſer Art Jenny ſichtlich für längere Zeit verſtimm- ten, war es Herr Meier ſelbſt, der ſeiner Frau anrieth, nicht in Jenny zu dringen, ſondern ruhig eine Zukunft zu erwarten, in der die Er- innerung an Reinhard ihren Einfluß auf Jenny verloren haben und die Vorſchläge ihrer Freunde leichter Gehör bei ihr finden würden.
Aber dieſen Zeitpunkt ſollte Madame Meier nicht erleben; ein plötzlicher, ſchmerzloſer Tod entriß ſie ihrer Familie. Wie tief der Verluſt empfunden wurde, wie er die Engverbundenen nur noch feſter aneinander ſchloß, wie Jeder die Lücke auszufüllen ſtrebte, die dadurch in den Herzen der Andern entſtanden war, bedarf kaum einer Erwähnung. Nun ſtand Jenny allein an der Spitze ihres Hauſes, auf ſie war ihr Vater gewieſen. Dies Bewußtſein erhob ſie in ihren eigenen Augen und tilgte jeden
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0172"n="162"/>
Mannes finden, den ich nicht liebte?“ Und<lb/>
da alle Zumuthungen und Geſpräche dieſer<lb/>
Art Jenny ſichtlich für längere Zeit verſtimm-<lb/>
ten, war es Herr Meier ſelbſt, der ſeiner Frau<lb/>
anrieth, nicht in Jenny zu dringen, ſondern<lb/>
ruhig eine Zukunft zu erwarten, in der die Er-<lb/>
innerung an Reinhard ihren Einfluß auf Jenny<lb/>
verloren haben und die Vorſchläge ihrer Freunde<lb/>
leichter Gehör bei ihr finden würden.</p><lb/><p>Aber dieſen Zeitpunkt ſollte Madame Meier<lb/>
nicht erleben; ein plötzlicher, ſchmerzloſer Tod<lb/>
entriß ſie ihrer Familie. Wie tief der Verluſt<lb/>
empfunden wurde, wie er die Engverbundenen<lb/>
nur noch feſter aneinander ſchloß, wie Jeder die<lb/>
Lücke auszufüllen ſtrebte, die dadurch in den<lb/>
Herzen der Andern entſtanden war, bedarf<lb/>
kaum einer Erwähnung. Nun ſtand Jenny<lb/>
allein an der Spitze ihres Hauſes, auf ſie war<lb/>
ihr Vater gewieſen. Dies Bewußtſein erhob<lb/>ſie in ihren eigenen Augen und tilgte jeden<lb/></p></div></body></text></TEI>
[162/0172]
Mannes finden, den ich nicht liebte?“ Und
da alle Zumuthungen und Geſpräche dieſer
Art Jenny ſichtlich für längere Zeit verſtimm-
ten, war es Herr Meier ſelbſt, der ſeiner Frau
anrieth, nicht in Jenny zu dringen, ſondern
ruhig eine Zukunft zu erwarten, in der die Er-
innerung an Reinhard ihren Einfluß auf Jenny
verloren haben und die Vorſchläge ihrer Freunde
leichter Gehör bei ihr finden würden.
Aber dieſen Zeitpunkt ſollte Madame Meier
nicht erleben; ein plötzlicher, ſchmerzloſer Tod
entriß ſie ihrer Familie. Wie tief der Verluſt
empfunden wurde, wie er die Engverbundenen
nur noch feſter aneinander ſchloß, wie Jeder die
Lücke auszufüllen ſtrebte, die dadurch in den
Herzen der Andern entſtanden war, bedarf
kaum einer Erwähnung. Nun ſtand Jenny
allein an der Spitze ihres Hauſes, auf ſie war
ihr Vater gewieſen. Dies Bewußtſein erhob
ſie in ihren eigenen Augen und tilgte jeden
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 162. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/172>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.