ren, das ich in Dir anbetete? Wie konntest Du Deine Seele, dies heilige, Dir von Gott ver- traute Pfand, bis zu dieser That versinken lassen? Sage mir nicht, daß Du Dich getäuscht, das ist unmöglich, wenn Du es nicht wolltest. Selbst Liebe entschuldigt die Lüge nicht, und diese Lüge ist es, die uns für ewig trennt, denn ich habe unwiederbringlich den Glauben an Dich verloren, in der ich alles Heilige und Wahre anbetete. Lebe denn wohl, Du, die ich nimmer vergessen kann, die mir das größte Glück und das tiefste Leid meines Lebens gegeben. Lebe wohl, Jenny, ich klage Dich nicht an, denn Du bist unglücklicher, als ich, der im Glauben eine Stütze finden wird. O, wollte Gott, daß ich Dir den Glauben geben könnte zum Dank für die Seligkeit, die ich in Deiner Liebe gefunden?"
So kam der Brief in Jenny's Hände. Sie selbst vermochte ihn nicht zu lesen, ihre Hände zitterten, die Buchstaben schwammen vor ihren
ren, das ich in Dir anbetete? Wie konnteſt Du Deine Seele, dies heilige, Dir von Gott ver- traute Pfand, bis zu dieſer That verſinken laſſen? Sage mir nicht, daß Du Dich getäuſcht, das iſt unmöglich, wenn Du es nicht wollteſt. Selbſt Liebe entſchuldigt die Lüge nicht, und dieſe Lüge iſt es, die uns für ewig trennt, denn ich habe unwiederbringlich den Glauben an Dich verloren, in der ich alles Heilige und Wahre anbetete. Lebe denn wohl, Du, die ich nimmer vergeſſen kann, die mir das größte Glück und das tiefſte Leid meines Lebens gegeben. Lebe wohl, Jenny, ich klage Dich nicht an, denn Du biſt unglücklicher, als ich, der im Glauben eine Stütze finden wird. O, wollte Gott, daß ich Dir den Glauben geben könnte zum Dank für die Seligkeit, die ich in Deiner Liebe gefunden?“
So kam der Brief in Jenny's Hände. Sie ſelbſt vermochte ihn nicht zu leſen, ihre Hände zitterten, die Buchſtaben ſchwammen vor ihren
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0154"n="144"/>
ren, das ich in Dir anbetete? Wie konnteſt Du<lb/>
Deine Seele, dies heilige, Dir von Gott ver-<lb/>
traute Pfand, bis zu dieſer That verſinken<lb/>
laſſen? Sage mir nicht, daß Du Dich getäuſcht,<lb/>
das iſt unmöglich, wenn Du es nicht wollteſt.<lb/>
Selbſt Liebe entſchuldigt die Lüge nicht, und<lb/>
dieſe Lüge iſt es, die uns für ewig trennt, denn<lb/>
ich habe unwiederbringlich den Glauben an Dich<lb/>
verloren, in der ich alles Heilige und Wahre<lb/>
anbetete. Lebe denn wohl, Du, die ich nimmer<lb/>
vergeſſen kann, die mir das größte Glück und<lb/>
das tiefſte Leid meines Lebens gegeben. Lebe<lb/>
wohl, Jenny, ich klage Dich nicht an, denn Du<lb/>
biſt unglücklicher, als ich, der im Glauben eine<lb/>
Stütze finden wird. O, wollte Gott, daß ich<lb/>
Dir den Glauben geben könnte zum Dank für<lb/>
die Seligkeit, die ich in Deiner Liebe gefunden?“</p><lb/><p>So kam der Brief in Jenny's Hände. Sie<lb/>ſelbſt vermochte ihn nicht zu leſen, ihre Hände<lb/>
zitterten, die Buchſtaben ſchwammen vor ihren<lb/></p></div></body></text></TEI>
[144/0154]
ren, das ich in Dir anbetete? Wie konnteſt Du
Deine Seele, dies heilige, Dir von Gott ver-
traute Pfand, bis zu dieſer That verſinken
laſſen? Sage mir nicht, daß Du Dich getäuſcht,
das iſt unmöglich, wenn Du es nicht wollteſt.
Selbſt Liebe entſchuldigt die Lüge nicht, und
dieſe Lüge iſt es, die uns für ewig trennt, denn
ich habe unwiederbringlich den Glauben an Dich
verloren, in der ich alles Heilige und Wahre
anbetete. Lebe denn wohl, Du, die ich nimmer
vergeſſen kann, die mir das größte Glück und
das tiefſte Leid meines Lebens gegeben. Lebe
wohl, Jenny, ich klage Dich nicht an, denn Du
biſt unglücklicher, als ich, der im Glauben eine
Stütze finden wird. O, wollte Gott, daß ich
Dir den Glauben geben könnte zum Dank für
die Seligkeit, die ich in Deiner Liebe gefunden?“
So kam der Brief in Jenny's Hände. Sie
ſelbſt vermochte ihn nicht zu leſen, ihre Hände
zitterten, die Buchſtaben ſchwammen vor ihren
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 144. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/154>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.