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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843.

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ihr selbst so oft mit wahrer Erbauung von
Jesu und seinen Lehren gesprochen, kein Heil
zu finden im Stande sein an der Quelle, aus
der Segen für die ganze Menschheit geströmt
war? Jenny, die obenein Reinhard zum Lehrer
gehabt, dessen innige fromme Ueberzeugung Je-
den gewinnen mußte? An diesen Grund von
Jenny's Zerrissenheit konnte sie nicht glauben,
und that sie es, dann schauderte sie vor dem
Leichtsinne, mit dem das Mädchen einen Mein-
eid begangen hatte. Wer mit den heiligsten
Dingen spielen konnte, bot auch dem Gatten
keine Sicherheit. Ebenso wie gegen Gott würde
sie sich gegen ihren Ehemann versündigen, be-
sonders da nur Erlau's würdiges Betragen sie
abgehalten hatte, schon ihrem Bräutigam un-
treu zu werden. Der Schmerz über die Leiden
ihres Sohnes machte sie ungerecht, und ihre
gekränkte Muttereitelkeit gewann so sehr über
ihre Vernunft den Sieg, daß sie dem Sohne

ihr ſelbſt ſo oft mit wahrer Erbauung von
Jeſu und ſeinen Lehren geſprochen, kein Heil
zu finden im Stande ſein an der Quelle, aus
der Segen für die ganze Menſchheit geſtrömt
war? Jenny, die obenein Reinhard zum Lehrer
gehabt, deſſen innige fromme Ueberzeugung Je-
den gewinnen mußte? An dieſen Grund von
Jenny's Zerriſſenheit konnte ſie nicht glauben,
und that ſie es, dann ſchauderte ſie vor dem
Leichtſinne, mit dem das Mädchen einen Mein-
eid begangen hatte. Wer mit den heiligſten
Dingen ſpielen konnte, bot auch dem Gatten
keine Sicherheit. Ebenſo wie gegen Gott würde
ſie ſich gegen ihren Ehemann verſündigen, be-
ſonders da nur Erlau's würdiges Betragen ſie
abgehalten hatte, ſchon ihrem Bräutigam un-
treu zu werden. Der Schmerz über die Leiden
ihres Sohnes machte ſie ungerecht, und ihre
gekränkte Muttereitelkeit gewann ſo ſehr über
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[138/0148] ihr ſelbſt ſo oft mit wahrer Erbauung von Jeſu und ſeinen Lehren geſprochen, kein Heil zu finden im Stande ſein an der Quelle, aus der Segen für die ganze Menſchheit geſtrömt war? Jenny, die obenein Reinhard zum Lehrer gehabt, deſſen innige fromme Ueberzeugung Je- den gewinnen mußte? An dieſen Grund von Jenny's Zerriſſenheit konnte ſie nicht glauben, und that ſie es, dann ſchauderte ſie vor dem Leichtſinne, mit dem das Mädchen einen Mein- eid begangen hatte. Wer mit den heiligſten Dingen ſpielen konnte, bot auch dem Gatten keine Sicherheit. Ebenſo wie gegen Gott würde ſie ſich gegen ihren Ehemann verſündigen, be- ſonders da nur Erlau's würdiges Betragen ſie abgehalten hatte, ſchon ihrem Bräutigam un- treu zu werden. Der Schmerz über die Leiden ihres Sohnes machte ſie ungerecht, und ihre gekränkte Muttereitelkeit gewann ſo ſehr über ihre Vernunft den Sieg, daß ſie dem Sohne

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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/148>, abgerufen am 24.11.2024.