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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843.

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sehen. Und doch weinte sie mit der Tochter,
denn ihr Herz war fern von den Hoffnungen,
mit denen sie diese zu beruhigen strebte.

"Täusche Jenny nicht mit Erwartungen,
die sich nicht erfüllen werden, oder ich müßte
Reinhard nicht kennen", sagte der Vater. "Ich
fürchte, er kommt nicht."

"Gott im Himmel, was habe ich gethan!"
rief Jenny.

"Was ich Dir selbst gerathen hätte", ant-
wortete ihr Vater, "wenn ich Deinen Zustand
früher gekannt. Du durftest nicht daran den-
ken, in eine Ehe zu treten, der nach Reinhard's
Ansicht das innere Bindungsmittel fehlte. Du
durftest namentlich ihn nicht täuschen über
Deine Gesinnung. Jetzt hast Du Deine Pflicht
erfüllt und Du wirst in dem Bewußtsein, das
Rechte gethan zu haben, Kraft finden, auch
das Schwerste zu tragen."

Jenny war trostlos. Sie wollte einen zwei-

ſehen. Und doch weinte ſie mit der Tochter,
denn ihr Herz war fern von den Hoffnungen,
mit denen ſie dieſe zu beruhigen ſtrebte.

„Täuſche Jenny nicht mit Erwartungen,
die ſich nicht erfüllen werden, oder ich müßte
Reinhard nicht kennen“, ſagte der Vater. „Ich
fürchte, er kommt nicht.“

„Gott im Himmel, was habe ich gethan!“
rief Jenny.

„Was ich Dir ſelbſt gerathen hätte“, ant-
wortete ihr Vater, „wenn ich Deinen Zuſtand
früher gekannt. Du durfteſt nicht daran den-
ken, in eine Ehe zu treten, der nach Reinhard's
Anſicht das innere Bindungsmittel fehlte. Du
durfteſt namentlich ihn nicht täuſchen über
Deine Geſinnung. Jetzt haſt Du Deine Pflicht
erfüllt und Du wirſt in dem Bewußtſein, das
Rechte gethan zu haben, Kraft finden, auch
das Schwerſte zu tragen.“

Jenny war troſtlos. Sie wollte einen zwei-

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[133/0143] ſehen. Und doch weinte ſie mit der Tochter, denn ihr Herz war fern von den Hoffnungen, mit denen ſie dieſe zu beruhigen ſtrebte. „Täuſche Jenny nicht mit Erwartungen, die ſich nicht erfüllen werden, oder ich müßte Reinhard nicht kennen“, ſagte der Vater. „Ich fürchte, er kommt nicht.“ „Gott im Himmel, was habe ich gethan!“ rief Jenny. „Was ich Dir ſelbſt gerathen hätte“, ant- wortete ihr Vater, „wenn ich Deinen Zuſtand früher gekannt. Du durfteſt nicht daran den- ken, in eine Ehe zu treten, der nach Reinhard's Anſicht das innere Bindungsmittel fehlte. Du durfteſt namentlich ihn nicht täuſchen über Deine Geſinnung. Jetzt haſt Du Deine Pflicht erfüllt und Du wirſt in dem Bewußtſein, das Rechte gethan zu haben, Kraft finden, auch das Schwerſte zu tragen.“ Jenny war troſtlos. Sie wollte einen zwei-

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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/143>, abgerufen am 25.11.2024.