Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

die mich um so mehr überrascht, als sie mir
bis jetzt gänzlich entgangen war."

"Du hast recht!" sagte Joseph, "aber wir
können ihr nicht helfen, sie quält sich selbst,
und ich weiß nicht, wie das enden wird."

"Wie meinst Du das?" fragte Eduard
bestürzt.

"Ich bin überzeugt, Jenny ist ohne allen
Glauben an die christlichen Dogmen Christin
geworden, und der Gedanke, einen Meineid
geschworen zu haben, peinigt und verfolgt sie
in einer Gewissensangst, vor der sie sich nicht
zu schützen weiß."

"Wär's möglich? -- sollte es Das sein? Was
bringt Dich auf die Vermuthung?"

"Jenny's ganzes Wesen und vor Allem
eine Unterhaltung, die ich vor einigen Tagen
mit ihr hatte. Sie brachte absichtlich das Ge-
spräch auf Religionsverschiedenheit und gestand
mir, jetzt, da sie Christin geworden wäre, käme

die mich um ſo mehr überraſcht, als ſie mir
bis jetzt gänzlich entgangen war.“

„Du haſt recht!“ ſagte Joſeph, „aber wir
können ihr nicht helfen, ſie quält ſich ſelbſt,
und ich weiß nicht, wie das enden wird.“

„Wie meinſt Du das?“ fragte Eduard
beſtürzt.

„Ich bin überzeugt, Jenny iſt ohne allen
Glauben an die chriſtlichen Dogmen Chriſtin
geworden, und der Gedanke, einen Meineid
geſchworen zu haben, peinigt und verfolgt ſie
in einer Gewiſſensangſt, vor der ſie ſich nicht
zu ſchützen weiß.“

„Wär's möglich? — ſollte es Das ſein? Was
bringt Dich auf die Vermuthung?“

„Jenny's ganzes Weſen und vor Allem
eine Unterhaltung, die ich vor einigen Tagen
mit ihr hatte. Sie brachte abſichtlich das Ge-
ſpräch auf Religionsverſchiedenheit und geſtand
mir, jetzt, da ſie Chriſtin geworden wäre, käme

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0127" n="117"/>
die mich um &#x017F;o mehr überra&#x017F;cht, als &#x017F;ie mir<lb/>
bis jetzt gänzlich entgangen war.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Du ha&#x017F;t recht!&#x201C; &#x017F;agte Jo&#x017F;eph, &#x201E;aber wir<lb/>
können ihr nicht helfen, &#x017F;ie quält &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t,<lb/>
und ich weiß nicht, wie das enden wird.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wie mein&#x017F;t Du das?&#x201C; fragte Eduard<lb/>
be&#x017F;türzt.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ich bin überzeugt, Jenny i&#x017F;t ohne allen<lb/>
Glauben an die chri&#x017F;tlichen Dogmen Chri&#x017F;tin<lb/>
geworden, und der Gedanke, einen Meineid<lb/>
ge&#x017F;chworen zu haben, peinigt und verfolgt &#x017F;ie<lb/>
in einer Gewi&#x017F;&#x017F;ensang&#x017F;t, vor der &#x017F;ie &#x017F;ich nicht<lb/>
zu &#x017F;chützen weiß.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Wär's möglich? &#x2014; &#x017F;ollte es Das &#x017F;ein? Was<lb/>
bringt Dich auf die Vermuthung?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Jenny's ganzes We&#x017F;en und vor Allem<lb/>
eine Unterhaltung, die ich vor einigen Tagen<lb/>
mit ihr hatte. Sie brachte ab&#x017F;ichtlich das Ge-<lb/>
&#x017F;präch auf Religionsver&#x017F;chiedenheit und ge&#x017F;tand<lb/>
mir, jetzt, da &#x017F;ie Chri&#x017F;tin geworden wäre, käme<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[117/0127] die mich um ſo mehr überraſcht, als ſie mir bis jetzt gänzlich entgangen war.“ „Du haſt recht!“ ſagte Joſeph, „aber wir können ihr nicht helfen, ſie quält ſich ſelbſt, und ich weiß nicht, wie das enden wird.“ „Wie meinſt Du das?“ fragte Eduard beſtürzt. „Ich bin überzeugt, Jenny iſt ohne allen Glauben an die chriſtlichen Dogmen Chriſtin geworden, und der Gedanke, einen Meineid geſchworen zu haben, peinigt und verfolgt ſie in einer Gewiſſensangſt, vor der ſie ſich nicht zu ſchützen weiß.“ „Wär's möglich? — ſollte es Das ſein? Was bringt Dich auf die Vermuthung?“ „Jenny's ganzes Weſen und vor Allem eine Unterhaltung, die ich vor einigen Tagen mit ihr hatte. Sie brachte abſichtlich das Ge- ſpräch auf Religionsverſchiedenheit und geſtand mir, jetzt, da ſie Chriſtin geworden wäre, käme

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/127
Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 2. Leipzig, 1843, S. 117. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny02_1843/127>, abgerufen am 25.11.2024.