konnte. Sie erinnerte sich der ewigen Frage, bei wem sie eingesegnet werden würde, und des Lächelns, wenn sie den Namen des jüdischen Predigers nannte. Es schien ihr unerträglich, künftig in diesem Kreise zu leben, und als sie nach Hause kam, warf sie sich weinend den Eltern in die Arme, flehentlich bittend, man möge sie aus der Schule fortnehmen. Alle Thränen, die sie in der Schule standhaft unter- drückt hatte, brachen nun gewaltsam hervor. Eduard kam dazu, und bei der Schilderung, die sie von ihrer Zurücksetzung und Ausge- schlossenheit machte, deren sie sich jetzt plötzlich bewußt geworden war, fühlten ihre Eltern und ihr Bruder nur zu lebhaft, daß sie auch dies geliebte Kind nicht gegen die Vorurtheile der Welt zu schützen, ihr nicht die Leiden zu er- sparen vermochten, die sie selbst empfunden hatten und nun wieder mit ihr empfanden.
konnte. Sie erinnerte ſich der ewigen Frage, bei wem ſie eingeſegnet werden würde, und des Lächelns, wenn ſie den Namen des jüdiſchen Predigers nannte. Es ſchien ihr unerträglich, künftig in dieſem Kreiſe zu leben, und als ſie nach Hauſe kam, warf ſie ſich weinend den Eltern in die Arme, flehentlich bittend, man möge ſie aus der Schule fortnehmen. Alle Thränen, die ſie in der Schule ſtandhaft unter- drückt hatte, brachen nun gewaltſam hervor. Eduard kam dazu, und bei der Schilderung, die ſie von ihrer Zurückſetzung und Ausge- ſchloſſenheit machte, deren ſie ſich jetzt plötzlich bewußt geworden war, fühlten ihre Eltern und ihr Bruder nur zu lebhaft, daß ſie auch dies geliebte Kind nicht gegen die Vorurtheile der Welt zu ſchützen, ihr nicht die Leiden zu er- ſparen vermochten, die ſie ſelbſt empfunden hatten und nun wieder mit ihr empfanden.
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konnte. Sie erinnerte ſich der ewigen Frage,
bei wem ſie eingeſegnet werden würde, und des
Lächelns, wenn ſie den Namen des jüdiſchen
Predigers nannte. Es ſchien ihr unerträglich,
künftig in dieſem Kreiſe zu leben, und als ſie
nach Hauſe kam, warf ſie ſich weinend den
Eltern in die Arme, flehentlich bittend, man
möge ſie aus der Schule fortnehmen. Alle
Thränen, die ſie in der Schule ſtandhaft unter-
drückt hatte, brachen nun gewaltſam hervor.
Eduard kam dazu, und bei der Schilderung,
die ſie von ihrer Zurückſetzung und Ausge-
ſchloſſenheit machte, deren ſie ſich jetzt plötzlich
bewußt geworden war, fühlten ihre Eltern und
ihr Bruder nur zu lebhaft, daß ſie auch dies
geliebte Kind nicht gegen die Vorurtheile der
Welt zu ſchützen, ihr nicht die Leiden zu er-
ſparen vermochten, die ſie ſelbſt empfunden
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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/71>, abgerufen am 24.11.2024.
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