in der freien Größe der Natur verlieren, weil ich mir einen Augenblick vorspiegelte, ich würde irgendwo die Bande nicht fühlen, die mich an Clara binden; die Ketten vergessen, unter de- nen die Juden seufzen. Du weißt ja, wie der erste Schmerz zu wüthen und sich zu täuschen pflegte! -- Dann kam Clara's Antwort!" -- Er seufzte, und blieb eine Weile schweigend in seine Gedanken vertieft, endlich fuhr er fort: "Sie will nicht, daß wir scheiden; ihr rei- nes Herz vermag zu resigniren, sie hofft, in die Schranken ruhiger Neigung zurückzukehren, glücklich dabei sein zu können. Ich soll sie wiedersehen, bald, in wenig Tagen -- und schweigen von der Leidenschaft, die mich durch- bebt -- wie ist das möglich?"
"Möglich, mein Sohn!" sagte der Vater, "muß es sein, weil Clara es will, und das Einzige, was Du thun kannst, ist, Dich un-
in der freien Größe der Natur verlieren, weil ich mir einen Augenblick vorſpiegelte, ich würde irgendwo die Bande nicht fühlen, die mich an Clara binden; die Ketten vergeſſen, unter de- nen die Juden ſeufzen. Du weißt ja, wie der erſte Schmerz zu wüthen und ſich zu täuſchen pflegte! — Dann kam Clara's Antwort!“ — Er ſeufzte, und blieb eine Weile ſchweigend in ſeine Gedanken vertieft, endlich fuhr er fort: „Sie will nicht, daß wir ſcheiden; ihr rei- nes Herz vermag zu reſigniren, ſie hofft, in die Schranken ruhiger Neigung zurückzukehren, glücklich dabei ſein zu können. Ich ſoll ſie wiederſehen, bald, in wenig Tagen — und ſchweigen von der Leidenſchaft, die mich durch- bebt — wie iſt das möglich?“
„Möglich, mein Sohn!“ ſagte der Vater, „muß es ſein, weil Clara es will, und das Einzige, was Du thun kannſt, iſt, Dich un-
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in der freien Größe der Natur verlieren, weil
ich mir einen Augenblick vorſpiegelte, ich würde
irgendwo die Bande nicht fühlen, die mich an
Clara binden; die Ketten vergeſſen, unter de-
nen die Juden ſeufzen. Du weißt ja, wie der
erſte Schmerz zu wüthen und ſich zu täuſchen
pflegte! — Dann kam Clara's Antwort!“ —
Er ſeufzte, und blieb eine Weile ſchweigend in
ſeine Gedanken vertieft, endlich fuhr er fort:
„Sie will nicht, daß wir ſcheiden; ihr rei-
nes Herz vermag zu reſigniren, ſie hofft, in
die Schranken ruhiger Neigung zurückzukehren,
glücklich dabei ſein zu können. Ich ſoll ſie
wiederſehen, bald, in wenig Tagen — und
ſchweigen von der Leidenſchaft, die mich durch-
bebt — wie iſt das möglich?“
„Möglich, mein Sohn!“ ſagte der Vater,
„muß es ſein, weil Clara es will, und das
Einzige, was Du thun kannſt, iſt, Dich un-
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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 384. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/392>, abgerufen am 23.11.2024.
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