zen, viel kostbarer und reiner, als der Tand, den Ihr bewundert. Ihr preiset das süße Lä- cheln des holden Mundes, der nur zu oft trau- rig lächelt über ein Dasein, das so grelle Con- traste hervorbringt. Kommt dann Einer ein- mal zu der Erkenntniß des Schmerzes, den solch ein heiteres Frauenantlitz birgt, dann schreit er über die Verstellung, die Unwahrheit des Geschlechts, und vergißt, daß Jeder, der ein Mädchen traurig sieht, ohne sich zu beden- ken, auf eine unglückliche Liebe schließt und mit roher Hand das stille Geheimniß an das Licht ziehen möchte. Ein Frauenherz, in dem einmal der Strahl wahrer Liebe gezündet, er- kennt seinen Besieger in dem Manne, fühlt sich ihm unterthan, als Sklavin seines Wil- lens, und möchte doch aus angebornem Scham- gefühl nicht dem Auge jedes Ungeweihten die Fessel zeigen, durch die es gebunden wird, die oft blutig drückt, und selbst zerbrochen, unver-
zen, viel koſtbarer und reiner, als der Tand, den Ihr bewundert. Ihr preiſet das ſüße Lä- cheln des holden Mundes, der nur zu oft trau- rig lächelt über ein Daſein, das ſo grelle Con- traſte hervorbringt. Kommt dann Einer ein- mal zu der Erkenntniß des Schmerzes, den ſolch ein heiteres Frauenantlitz birgt, dann ſchreit er über die Verſtellung, die Unwahrheit des Geſchlechts, und vergißt, daß Jeder, der ein Mädchen traurig ſieht, ohne ſich zu beden- ken, auf eine unglückliche Liebe ſchließt und mit roher Hand das ſtille Geheimniß an das Licht ziehen möchte. Ein Frauenherz, in dem einmal der Strahl wahrer Liebe gezündet, er- kennt ſeinen Beſieger in dem Manne, fühlt ſich ihm unterthan, als Sklavin ſeines Wil- lens, und möchte doch aus angebornem Scham- gefühl nicht dem Auge jedes Ungeweihten die Feſſel zeigen, durch die es gebunden wird, die oft blutig drückt, und ſelbſt zerbrochen, unver-
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zen, viel koſtbarer und reiner, als der Tand,
den Ihr bewundert. Ihr preiſet das ſüße Lä-
cheln des holden Mundes, der nur zu oft trau-
rig lächelt über ein Daſein, das ſo grelle Con-
traſte hervorbringt. Kommt dann Einer ein-
mal zu der Erkenntniß des Schmerzes, den
ſolch ein heiteres Frauenantlitz birgt, dann
ſchreit er über die Verſtellung, die Unwahrheit
des Geſchlechts, und vergißt, daß Jeder, der
ein Mädchen traurig ſieht, ohne ſich zu beden-
ken, auf eine unglückliche Liebe ſchließt und
mit roher Hand das ſtille Geheimniß an das
Licht ziehen möchte. Ein Frauenherz, in dem
einmal der Strahl wahrer Liebe gezündet, er-
kennt ſeinen Beſieger in dem Manne, fühlt
ſich ihm unterthan, als Sklavin ſeines Wil-
lens, und möchte doch aus angebornem Scham-
gefühl nicht dem Auge jedes Ungeweihten die
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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 379. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/387>, abgerufen am 27.11.2024.
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