Der Ton dieser süßen Stimme, das war mehr, als Eduard ertragen konnte. "Clara! Clara!" rief er mit einer Leidenschaftlichkeit, in der das ganze Leiden der letzten Stunden sich zusammendrängte, und riß das junge Mädchen gewaltsam an seine Brust, das sich an ihn lehnte, als ob sie an seinem Herzen Schutz gegen ihn selbst erwartete. Wie nach lan- ger drückender Hitze die schwarzen Wolken sich in großen einzelnen Tropfen entladen, so fieleu aus Eduard's Augen heiße schwere Thränen auf die Stirn Clara's und auch sie weinte still.
"Warum weinen wir denn, fragte sie end- lich, wenn ich mit Ihnen bin?"
"Weil ich Dich verloren habe", antwortete er gepreßt, "weil ich über Dein geliebtes Haupt den Fluch heraufbeschworen, der mich verfolgt. "Auf dies geliebte Haupt" sagte er, es in sei- nen Händen haltend und mit der Zärtlichkeit
I. 16
Der Ton dieſer ſüßen Stimme, das war mehr, als Eduard ertragen konnte. „Clara! Clara!“ rief er mit einer Leidenſchaftlichkeit, in der das ganze Leiden der letzten Stunden ſich zuſammendrängte, und riß das junge Mädchen gewaltſam an ſeine Bruſt, das ſich an ihn lehnte, als ob ſie an ſeinem Herzen Schutz gegen ihn ſelbſt erwartete. Wie nach lan- ger drückender Hitze die ſchwarzen Wolken ſich in großen einzelnen Tropfen entladen, ſo fieleu aus Eduard's Augen heiße ſchwere Thränen auf die Stirn Clara's und auch ſie weinte ſtill.
„Warum weinen wir denn, fragte ſie end- lich, wenn ich mit Ihnen bin?“
„Weil ich Dich verloren habe“, antwortete er gepreßt, „weil ich über Dein geliebtes Haupt den Fluch heraufbeſchworen, der mich verfolgt. „Auf dies geliebte Haupt“ ſagte er, es in ſei- nen Händen haltend und mit der Zärtlichkeit
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Der Ton dieſer ſüßen Stimme, das war
mehr, als Eduard ertragen konnte. „Clara!
Clara!“ rief er mit einer Leidenſchaftlichkeit, in
der das ganze Leiden der letzten Stunden ſich
zuſammendrängte, und riß das junge Mädchen
gewaltſam an ſeine Bruſt, das ſich an ihn
lehnte, als ob ſie an ſeinem Herzen Schutz
gegen ihn ſelbſt erwartete. Wie nach lan-
ger drückender Hitze die ſchwarzen Wolken ſich
in großen einzelnen Tropfen entladen, ſo fieleu
aus Eduard's Augen heiße ſchwere Thränen auf
die Stirn Clara's und auch ſie weinte ſtill.
„Warum weinen wir denn, fragte ſie end-
lich, wenn ich mit Ihnen bin?“
„Weil ich Dich verloren habe“, antwortete
er gepreßt, „weil ich über Dein geliebtes Haupt
den Fluch heraufbeſchworen, der mich verfolgt.
„Auf dies geliebte Haupt“ ſagte er, es in ſei-
nen Händen haltend und mit der Zärtlichkeit
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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 361. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/369>, abgerufen am 24.11.2024.
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