konnte sich diese Leichtfertigkeit nicht erklären, um so weniger, als seine Braut früher mit besonderer Vorliebe sich ernsthafter Unterhal- tungen mit ihm zu erfreuen geschienen, und, um dies ungestört zu genießen, jede Gelegen- heit benutzt hatte, die Anwesenheit dritter Per- sonen zu verhindern. Auch zur Pfarrerin kam sie seltener oder zu Zeiten, wenn sie ihren Bräutigam außer dem Hause beschäftigt wußte, was diesen um so rücksichtsloser dünkte, als die Abreise der Pfarrerin in wenigen Tagen be- vorstand und ihm dann die Möglichkeit jener traulich süßen Stunden bei seiner Mutter für lange genommen war.
Jenny schmerzte die Unzufriedenheit Rein- hard's; doch tröstete sie sich über den Kummer, den sie ihm und dadurch sich selbst bereitete, mit der Hoffnung, daß es ihr endlich doch ge- lingen müsse, das Christenthum zu erfassen, und daß Reinhard erst dann erfahren soll, wie
konnte ſich dieſe Leichtfertigkeit nicht erklären, um ſo weniger, als ſeine Braut früher mit beſonderer Vorliebe ſich ernſthafter Unterhal- tungen mit ihm zu erfreuen geſchienen, und, um dies ungeſtört zu genießen, jede Gelegen- heit benutzt hatte, die Anweſenheit dritter Per- ſonen zu verhindern. Auch zur Pfarrerin kam ſie ſeltener oder zu Zeiten, wenn ſie ihren Bräutigam außer dem Hauſe beſchäftigt wußte, was dieſen um ſo rückſichtsloſer dünkte, als die Abreiſe der Pfarrerin in wenigen Tagen be- vorſtand und ihm dann die Möglichkeit jener traulich ſüßen Stunden bei ſeiner Mutter für lange genommen war.
Jenny ſchmerzte die Unzufriedenheit Rein- hard's; doch tröſtete ſie ſich über den Kummer, den ſie ihm und dadurch ſich ſelbſt bereitete, mit der Hoffnung, daß es ihr endlich doch ge- lingen müſſe, das Chriſtenthum zu erfaſſen, und daß Reinhard erſt dann erfahren ſoll, wie
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konnte ſich dieſe Leichtfertigkeit nicht erklären,
um ſo weniger, als ſeine Braut früher mit
beſonderer Vorliebe ſich ernſthafter Unterhal-
tungen mit ihm zu erfreuen geſchienen, und,
um dies ungeſtört zu genießen, jede Gelegen-
heit benutzt hatte, die Anweſenheit dritter Per-
ſonen zu verhindern. Auch zur Pfarrerin kam
ſie ſeltener oder zu Zeiten, wenn ſie ihren
Bräutigam außer dem Hauſe beſchäftigt wußte,
was dieſen um ſo rückſichtsloſer dünkte, als
die Abreiſe der Pfarrerin in wenigen Tagen be-
vorſtand und ihm dann die Möglichkeit jener
traulich ſüßen Stunden bei ſeiner Mutter für
lange genommen war.
Jenny ſchmerzte die Unzufriedenheit Rein-
hard's; doch tröſtete ſie ſich über den Kummer,
den ſie ihm und dadurch ſich ſelbſt bereitete,
mit der Hoffnung, daß es ihr endlich doch ge-
lingen müſſe, das Chriſtenthum zu erfaſſen,
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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 311. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/319>, abgerufen am 25.11.2024.
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