Anwendung finden konnten, und die Dreieinig- keit erschien ihr unerfaßbar.
Mit aller Kraft ihres Geistes hörte sie den Vorträgen ihres Lehrers zu; sie wollte sich aus Liebe um jeden Preis überzeugen; glauben, was Millionen Menschen, die es kaum so eifrig ge- sucht wie sie, zur beseligenden Gewißheit, zur Stärkung in Roth und Tod geworden war. Warum sollte gerade ihr das unerreichbar bleiben? Warum gerade ihr, die ihn so eifrig erstrebte, der Glaube versagt sein? Eine quälende Unruhe bemächtigte sich ihrer. Geistig unaufhörlich mit der Lösung ihrer Zweifel be- schäftigt, auf der ihr ganzes Glück beruhte, erschien sie dem Geliebten zerstreut und theil- nahmlos, und er drang in sie, ihm den Grund ihrer Verstimmung zu entdecken. Das aber vermochte Jenny aus leicht begreiflichen Grün- den nicht. Sie schützte körperliches Unwohlsein, Sorge um Eduard, den offenbar ein tiefer
Anwendung finden konnten, und die Dreieinig- keit erſchien ihr unerfaßbar.
Mit aller Kraft ihres Geiſtes hörte ſie den Vorträgen ihres Lehrers zu; ſie wollte ſich aus Liebe um jeden Preis überzeugen; glauben, was Millionen Menſchen, die es kaum ſo eifrig ge- ſucht wie ſie, zur beſeligenden Gewißheit, zur Stärkung in Roth und Tod geworden war. Warum ſollte gerade ihr das unerreichbar bleiben? Warum gerade ihr, die ihn ſo eifrig erſtrebte, der Glaube verſagt ſein? Eine quälende Unruhe bemächtigte ſich ihrer. Geiſtig unaufhörlich mit der Löſung ihrer Zweifel be- ſchäftigt, auf der ihr ganzes Glück beruhte, erſchien ſie dem Geliebten zerſtreut und theil- nahmlos, und er drang in ſie, ihm den Grund ihrer Verſtimmung zu entdecken. Das aber vermochte Jenny aus leicht begreiflichen Grün- den nicht. Sie ſchützte körperliches Unwohlſein, Sorge um Eduard, den offenbar ein tiefer
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0317"n="309"/>
Anwendung finden konnten, und die Dreieinig-<lb/>
keit erſchien ihr unerfaßbar.</p><lb/><p>Mit aller Kraft ihres Geiſtes hörte ſie den<lb/>
Vorträgen ihres Lehrers zu; ſie wollte ſich aus<lb/>
Liebe um jeden Preis überzeugen; glauben, was<lb/>
Millionen Menſchen, die es kaum ſo eifrig ge-<lb/>ſucht wie ſie, zur beſeligenden Gewißheit, zur<lb/>
Stärkung in Roth und Tod geworden war.<lb/>
Warum ſollte gerade ihr das unerreichbar<lb/>
bleiben? Warum gerade ihr, die ihn ſo eifrig<lb/>
erſtrebte, der Glaube verſagt ſein? Eine<lb/>
quälende Unruhe bemächtigte ſich ihrer. Geiſtig<lb/>
unaufhörlich mit der Löſung ihrer Zweifel be-<lb/>ſchäftigt, auf der ihr ganzes Glück beruhte,<lb/>
erſchien ſie dem Geliebten zerſtreut und theil-<lb/>
nahmlos, und er drang in ſie, ihm den Grund<lb/>
ihrer Verſtimmung zu entdecken. Das aber<lb/>
vermochte Jenny aus leicht begreiflichen Grün-<lb/>
den nicht. Sie ſchützte körperliches Unwohlſein,<lb/>
Sorge um Eduard, den offenbar ein tiefer<lb/></p></div></body></text></TEI>
[309/0317]
Anwendung finden konnten, und die Dreieinig-
keit erſchien ihr unerfaßbar.
Mit aller Kraft ihres Geiſtes hörte ſie den
Vorträgen ihres Lehrers zu; ſie wollte ſich aus
Liebe um jeden Preis überzeugen; glauben, was
Millionen Menſchen, die es kaum ſo eifrig ge-
ſucht wie ſie, zur beſeligenden Gewißheit, zur
Stärkung in Roth und Tod geworden war.
Warum ſollte gerade ihr das unerreichbar
bleiben? Warum gerade ihr, die ihn ſo eifrig
erſtrebte, der Glaube verſagt ſein? Eine
quälende Unruhe bemächtigte ſich ihrer. Geiſtig
unaufhörlich mit der Löſung ihrer Zweifel be-
ſchäftigt, auf der ihr ganzes Glück beruhte,
erſchien ſie dem Geliebten zerſtreut und theil-
nahmlos, und er drang in ſie, ihm den Grund
ihrer Verſtimmung zu entdecken. Das aber
vermochte Jenny aus leicht begreiflichen Grün-
den nicht. Sie ſchützte körperliches Unwohlſein,
Sorge um Eduard, den offenbar ein tiefer
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 309. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/317>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.