eilte hinaus, weil sie sich einer Ohnmacht nahe fühlte.
Jetzt in der Einsamkeit malte ihr die Phan- tasie geschäftig tausend Trugbilder vor: sie konnte nicht begreifen, wie dies Verhältniß ihr so lange verborgen geblieben sei; sie war empört von so viel Falschheit und schauderte entsetzt zusammen, als Therese zu ihr kam, um freundlich nach ih- rem Ergehen zu fragen.
"Um Alles in der Welt", sagte sie heftig, "laß mich allein, ich leide zu sehr."
"Gerade darum möchte ich bleiben!" bat Therese theilnehmend.
"Nein, nur Du nicht, nur Du nicht!" schluchzte Jenny. "Dich kann ich nicht sehen, -- ach, das habe ich nicht von Dir verdient!"
Therese verstand kein Wort von Dem, was sie hörte. Ihr war bange, daß Jenny irre rede, und noch leiser sagte sie: "Aber Jenny!
10**
eilte hinaus, weil ſie ſich einer Ohnmacht nahe fühlte.
Jetzt in der Einſamkeit malte ihr die Phan- taſie geſchäftig tauſend Trugbilder vor: ſie konnte nicht begreifen, wie dies Verhältniß ihr ſo lange verborgen geblieben ſei; ſie war empört von ſo viel Falſchheit und ſchauderte entſetzt zuſammen, als Thereſe zu ihr kam, um freundlich nach ih- rem Ergehen zu fragen.
„Um Alles in der Welt“, ſagte ſie heftig, „laß mich allein, ich leide zu ſehr.“
„Gerade darum möchte ich bleiben!“ bat Thereſe theilnehmend.
„Nein, nur Du nicht, nur Du nicht!“ ſchluchzte Jenny. „Dich kann ich nicht ſehen, — ach, das habe ich nicht von Dir verdient!“
Thereſe verſtand kein Wort von Dem, was ſie hörte. Ihr war bange, daß Jenny irre rede, und noch leiſer ſagte ſie: „Aber Jenny!
10**
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0237"n="225"/>
eilte hinaus, weil ſie ſich einer Ohnmacht nahe<lb/>
fühlte.</p><lb/><p>Jetzt in der Einſamkeit malte ihr die Phan-<lb/>
taſie geſchäftig tauſend Trugbilder vor: ſie konnte<lb/>
nicht begreifen, wie dies Verhältniß ihr ſo lange<lb/>
verborgen geblieben ſei; ſie war empört von ſo<lb/>
viel Falſchheit und ſchauderte entſetzt zuſammen,<lb/>
als Thereſe zu ihr kam, um freundlich nach ih-<lb/>
rem Ergehen zu fragen.</p><lb/><p>„Um Alles in der Welt“, ſagte ſie heftig,<lb/>„laß mich allein, ich leide zu ſehr.“</p><lb/><p>„Gerade darum möchte ich bleiben!“ bat<lb/>
Thereſe theilnehmend.</p><lb/><p>„Nein, nur Du nicht, nur Du nicht!“<lb/>ſchluchzte Jenny. „Dich kann ich nicht ſehen,<lb/>— ach, das habe ich nicht von Dir verdient!“</p><lb/><p>Thereſe verſtand kein Wort von Dem, was<lb/>ſie hörte. Ihr war bange, daß Jenny irre<lb/>
rede, und noch leiſer ſagte ſie: „Aber Jenny!<lb/><fwplace="bottom"type="sig">10**</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[225/0237]
eilte hinaus, weil ſie ſich einer Ohnmacht nahe
fühlte.
Jetzt in der Einſamkeit malte ihr die Phan-
taſie geſchäftig tauſend Trugbilder vor: ſie konnte
nicht begreifen, wie dies Verhältniß ihr ſo lange
verborgen geblieben ſei; ſie war empört von ſo
viel Falſchheit und ſchauderte entſetzt zuſammen,
als Thereſe zu ihr kam, um freundlich nach ih-
rem Ergehen zu fragen.
„Um Alles in der Welt“, ſagte ſie heftig,
„laß mich allein, ich leide zu ſehr.“
„Gerade darum möchte ich bleiben!“ bat
Thereſe theilnehmend.
„Nein, nur Du nicht, nur Du nicht!“
ſchluchzte Jenny. „Dich kann ich nicht ſehen,
— ach, das habe ich nicht von Dir verdient!“
Thereſe verſtand kein Wort von Dem, was
ſie hörte. Ihr war bange, daß Jenny irre
rede, und noch leiſer ſagte ſie: „Aber Jenny!
10**
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 225. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/237>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.