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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843.

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Herr und Madame Meier eine kleine Spazier-
fahrt unternommen hatten, die Jenny mitzu-
machen abgelehnt, blieb sie mit Joseph allein
in dem Eßzimmer zurück und das Gespräch
wandte sich bald auf das Christenthum, da
Beide gleich lebhaft bei dem Thema betheiligt
waren.

"Was ist es denn eigentlich", fragte Joseph
sie, "was Dich so urplötzlich zu dem Entschlusse
gebracht hat?"

"Urplötzlich kannst Du es nicht nennen",
antwortete sie. "Ich habe bis jetzt überhaupt
nicht über mich selbst nachgedacht; ich habe wie
ein Kind in den Tag hineingelebt. Nun ich
älter werde und ernster über mich nachdenke,
fühle ich, daß die Halbheit, in der ich erzogen
bin, mich nicht befriedigt, daß ich nicht glücklich
bin, und will das ändern."

Joseph lächelte unwillkürlich. "Und Du
hoffst, das Christenthum werde Dich glücklicher

Herr und Madame Meier eine kleine Spazier-
fahrt unternommen hatten, die Jenny mitzu-
machen abgelehnt, blieb ſie mit Joſeph allein
in dem Eßzimmer zurück und das Geſpräch
wandte ſich bald auf das Chriſtenthum, da
Beide gleich lebhaft bei dem Thema betheiligt
waren.

„Was iſt es denn eigentlich“, fragte Joſeph
ſie, „was Dich ſo urplötzlich zu dem Entſchluſſe
gebracht hat?“

„Urplötzlich kannſt Du es nicht nennen“,
antwortete ſie. „Ich habe bis jetzt überhaupt
nicht über mich ſelbſt nachgedacht; ich habe wie
ein Kind in den Tag hineingelebt. Nun ich
älter werde und ernſter über mich nachdenke,
fühle ich, daß die Halbheit, in der ich erzogen
bin, mich nicht befriedigt, daß ich nicht glücklich
bin, und will das ändern.“

Joſeph lächelte unwillkürlich. „Und Du
hoffſt, das Chriſtenthum werde Dich glücklicher

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[161/0173] Herr und Madame Meier eine kleine Spazier- fahrt unternommen hatten, die Jenny mitzu- machen abgelehnt, blieb ſie mit Joſeph allein in dem Eßzimmer zurück und das Geſpräch wandte ſich bald auf das Chriſtenthum, da Beide gleich lebhaft bei dem Thema betheiligt waren. „Was iſt es denn eigentlich“, fragte Joſeph ſie, „was Dich ſo urplötzlich zu dem Entſchluſſe gebracht hat?“ „Urplötzlich kannſt Du es nicht nennen“, antwortete ſie. „Ich habe bis jetzt überhaupt nicht über mich ſelbſt nachgedacht; ich habe wie ein Kind in den Tag hineingelebt. Nun ich älter werde und ernſter über mich nachdenke, fühle ich, daß die Halbheit, in der ich erzogen bin, mich nicht befriedigt, daß ich nicht glücklich bin, und will das ändern.“ Joſeph lächelte unwillkürlich. „Und Du hoffſt, das Chriſtenthum werde Dich glücklicher

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Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 161. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/173>, abgerufen am 28.11.2024.