Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843.

Bild:
<< vorherige Seite

stande seiner Kranken zu erkundigen, und vor
Allem, um sie zu sehen, um mit ihr über Alles
zu sprechen, was seine Seele in Anspruch nahm.
Vor ihr hatte er sich gewöhnt, die tiefsten Re-
gungen seines Herzens, die kühnsten Gedanken
seines Geistes zu enthüllen. Sie hatte er ein-
geweiht in jedes Glück und jedes Leid, das er
als Jude erduldet, und außer der Wonne, die
es ihm gewährte, der Geliebten von sich und
seinem frühern Leben zu erzählen, hatte er ge-
dacht, Clara dadurch deutlich zu machen, daß
sie getrennt wären durch den Glauben, und
daß er nie daran denken könne, sie sein Weib
zu nennen. Anders aber, als er es berechnet
hatte, wirkten diese Schilderungen auf das lie-
bende Herz des Mädchens. Sie wünschte und
fühlte in sich die Macht, ihn zu entschädigen
für alles Leiden; sie wollte ihm zeigen, daß sie
wenigstens die Vorurtheile der Menge nicht
theile. Darum sprach sie offen von ihrer Ach-

ſtande ſeiner Kranken zu erkundigen, und vor
Allem, um ſie zu ſehen, um mit ihr über Alles
zu ſprechen, was ſeine Seele in Anſpruch nahm.
Vor ihr hatte er ſich gewöhnt, die tiefſten Re-
gungen ſeines Herzens, die kühnſten Gedanken
ſeines Geiſtes zu enthüllen. Sie hatte er ein-
geweiht in jedes Glück und jedes Leid, das er
als Jude erduldet, und außer der Wonne, die
es ihm gewährte, der Geliebten von ſich und
ſeinem frühern Leben zu erzählen, hatte er ge-
dacht, Clara dadurch deutlich zu machen, daß
ſie getrennt wären durch den Glauben, und
daß er nie daran denken könne, ſie ſein Weib
zu nennen. Anders aber, als er es berechnet
hatte, wirkten dieſe Schilderungen auf das lie-
bende Herz des Mädchens. Sie wünſchte und
fühlte in ſich die Macht, ihn zu entſchädigen
für alles Leiden; ſie wollte ihm zeigen, daß ſie
wenigſtens die Vorurtheile der Menge nicht
theile. Darum ſprach ſie offen von ihrer Ach-

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0162" n="150"/>
&#x017F;tande &#x017F;einer Kranken zu erkundigen, und vor<lb/>
Allem, um &#x017F;ie zu &#x017F;ehen, um mit ihr über Alles<lb/>
zu &#x017F;prechen, was &#x017F;eine Seele in An&#x017F;pruch nahm.<lb/>
Vor ihr hatte er &#x017F;ich gewöhnt, die tief&#x017F;ten Re-<lb/>
gungen &#x017F;eines Herzens, die kühn&#x017F;ten Gedanken<lb/>
&#x017F;eines Gei&#x017F;tes zu enthüllen. Sie hatte er ein-<lb/>
geweiht in jedes Glück und jedes Leid, das er<lb/>
als Jude erduldet, und außer der Wonne, die<lb/>
es ihm gewährte, der Geliebten von &#x017F;ich und<lb/>
&#x017F;einem frühern Leben zu erzählen, hatte er ge-<lb/>
dacht, Clara dadurch deutlich zu machen, daß<lb/>
&#x017F;ie getrennt wären durch den Glauben, und<lb/>
daß er nie daran denken könne, &#x017F;ie &#x017F;ein Weib<lb/>
zu nennen. Anders aber, als er es berechnet<lb/>
hatte, wirkten die&#x017F;e Schilderungen auf das lie-<lb/>
bende Herz des Mädchens. Sie wün&#x017F;chte und<lb/>
fühlte in &#x017F;ich die Macht, ihn zu ent&#x017F;chädigen<lb/>
für alles Leiden; &#x017F;ie wollte ihm zeigen, daß &#x017F;ie<lb/>
wenig&#x017F;tens die Vorurtheile der Menge nicht<lb/>
theile. Darum &#x017F;prach &#x017F;ie offen von ihrer Ach-<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[150/0162] ſtande ſeiner Kranken zu erkundigen, und vor Allem, um ſie zu ſehen, um mit ihr über Alles zu ſprechen, was ſeine Seele in Anſpruch nahm. Vor ihr hatte er ſich gewöhnt, die tiefſten Re- gungen ſeines Herzens, die kühnſten Gedanken ſeines Geiſtes zu enthüllen. Sie hatte er ein- geweiht in jedes Glück und jedes Leid, das er als Jude erduldet, und außer der Wonne, die es ihm gewährte, der Geliebten von ſich und ſeinem frühern Leben zu erzählen, hatte er ge- dacht, Clara dadurch deutlich zu machen, daß ſie getrennt wären durch den Glauben, und daß er nie daran denken könne, ſie ſein Weib zu nennen. Anders aber, als er es berechnet hatte, wirkten dieſe Schilderungen auf das lie- bende Herz des Mädchens. Sie wünſchte und fühlte in ſich die Macht, ihn zu entſchädigen für alles Leiden; ſie wollte ihm zeigen, daß ſie wenigſtens die Vorurtheile der Menge nicht theile. Darum ſprach ſie offen von ihrer Ach-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/162
Zitationshilfe: Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 150. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/162>, abgerufen am 22.11.2024.