entgehen, daß hier die Seele noch empfindlicher leide, als der Körper. Die unbeschreibliche Ge- duld, mit der Clara die Schmerzen ertrug, die Sanftmuth und Ruhe ihres ganzen Wesens, und ein Zug von stiller Resignation machten ihm die Kranke werth. Er bemühte sich, durch Unterhaltungen mancher Art ihre Aufmerksam- keit zu beleben; er kam, so oft er es konnte, dehnte seine Besuche lange aus, und fand den schönsten Lohn dafür in der dankbaren Freude, mit der Clara ihn begrüßte, in dem Genuß, den er selbst bald dabei zu empfinden begann.
Oft, wenn er sie am Morgen in möglichst gutem Wohlsein verlassen hatte, war sie Abends in einem aufgeregten, beunruhigenden Zustande, für den in ihrem körperlichen Befinden kein Grund vorhanden war, und den er mit Recht unangenehmen Gemüthsbewegungen zuschreiben mußte. So fand er sie eines Abends, aufgelöst in Thränen, und so bewegt, daß sie kaum seine
entgehen, daß hier die Seele noch empfindlicher leide, als der Körper. Die unbeſchreibliche Ge- duld, mit der Clara die Schmerzen ertrug, die Sanftmuth und Ruhe ihres ganzen Weſens, und ein Zug von ſtiller Reſignation machten ihm die Kranke werth. Er bemühte ſich, durch Unterhaltungen mancher Art ihre Aufmerkſam- keit zu beleben; er kam, ſo oft er es konnte, dehnte ſeine Beſuche lange aus, und fand den ſchönſten Lohn dafür in der dankbaren Freude, mit der Clara ihn begrüßte, in dem Genuß, den er ſelbſt bald dabei zu empfinden begann.
Oft, wenn er ſie am Morgen in möglichſt gutem Wohlſein verlaſſen hatte, war ſie Abends in einem aufgeregten, beunruhigenden Zuſtande, für den in ihrem körperlichen Befinden kein Grund vorhanden war, und den er mit Recht unangenehmen Gemüthsbewegungen zuſchreiben mußte. So fand er ſie eines Abends, aufgelöſt in Thränen, und ſo bewegt, daß ſie kaum ſeine
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entgehen, daß hier die Seele noch empfindlicher
leide, als der Körper. Die unbeſchreibliche Ge-
duld, mit der Clara die Schmerzen ertrug, die
Sanftmuth und Ruhe ihres ganzen Weſens,
und ein Zug von ſtiller Reſignation machten
ihm die Kranke werth. Er bemühte ſich, durch
Unterhaltungen mancher Art ihre Aufmerkſam-
keit zu beleben; er kam, ſo oft er es konnte,
dehnte ſeine Beſuche lange aus, und fand den
ſchönſten Lohn dafür in der dankbaren Freude,
mit der Clara ihn begrüßte, in dem Genuß,
den er ſelbſt bald dabei zu empfinden begann.
Oft, wenn er ſie am Morgen in möglichſt
gutem Wohlſein verlaſſen hatte, war ſie Abends
in einem aufgeregten, beunruhigenden Zuſtande,
für den in ihrem körperlichen Befinden kein
Grund vorhanden war, und den er mit Recht
unangenehmen Gemüthsbewegungen zuſchreiben
mußte. So fand er ſie eines Abends, aufgelöſt
in Thränen, und ſo bewegt, daß ſie kaum ſeine
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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 120. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/132>, abgerufen am 24.11.2024.
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