terschied zwischen ihm und ihr, daß sie aufge- zogen in den Begriffen der sogenannten großen Welt, trotz ihrer wirklich streng sittlichen Seele, das Gefühl für die Sittenlosigkeit mancher Ver- hältnisse verloren hatte, oder daß es nicht zum Bewußtsein in ihr gekommen war. Der Figaro, Don Juan und vieles Andere, waren ihr Dinge, an denen sie sich von Kindheit auf erfreut hatte, ohne an das Gute und Böse daran zu denken, und das war ein Zustand, in den weder Eduard noch Reinhard sich zu versetzen vermochten.
Reinhard war bis zu seiner Universitätszeit in einem Landstädtchen in vollkommener Zurück- gezogenheit erwachsen, und seinem Geiste muß- ten die Eindrücke, die er dann plötzlich in der Gesellschaft und durch das Theater empfing, ganz anders erscheinen, weil er sich der Em- pfindungen bewußt war, die dadurch in ihm hervorgerufen worden. Eduard hingegen war allmälig durch Reflexion zu der Ansicht gekom-
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terſchied zwiſchen ihm und ihr, daß ſie aufge- zogen in den Begriffen der ſogenannten großen Welt, trotz ihrer wirklich ſtreng ſittlichen Seele, das Gefühl für die Sittenloſigkeit mancher Ver- hältniſſe verloren hatte, oder daß es nicht zum Bewußtſein in ihr gekommen war. Der Figaro, Don Juan und vieles Andere, waren ihr Dinge, an denen ſie ſich von Kindheit auf erfreut hatte, ohne an das Gute und Böſe daran zu denken, und das war ein Zuſtand, in den weder Eduard noch Reinhard ſich zu verſetzen vermochten.
Reinhard war bis zu ſeiner Univerſitätszeit in einem Landſtädtchen in vollkommener Zurück- gezogenheit erwachſen, und ſeinem Geiſte muß- ten die Eindrücke, die er dann plötzlich in der Geſellſchaft und durch das Theater empfing, ganz anders erſcheinen, weil er ſich der Em- pfindungen bewußt war, die dadurch in ihm hervorgerufen worden. Eduard hingegen war allmälig durch Reflexion zu der Anſicht gekom-
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[99/0111]
terſchied zwiſchen ihm und ihr, daß ſie aufge-
zogen in den Begriffen der ſogenannten großen
Welt, trotz ihrer wirklich ſtreng ſittlichen Seele,
das Gefühl für die Sittenloſigkeit mancher Ver-
hältniſſe verloren hatte, oder daß es nicht zum
Bewußtſein in ihr gekommen war. Der Figaro,
Don Juan und vieles Andere, waren ihr Dinge,
an denen ſie ſich von Kindheit auf erfreut hatte,
ohne an das Gute und Böſe daran zu denken,
und das war ein Zuſtand, in den weder Eduard
noch Reinhard ſich zu verſetzen vermochten.
Reinhard war bis zu ſeiner Univerſitätszeit
in einem Landſtädtchen in vollkommener Zurück-
gezogenheit erwachſen, und ſeinem Geiſte muß-
ten die Eindrücke, die er dann plötzlich in der
Geſellſchaft und durch das Theater empfing,
ganz anders erſcheinen, weil er ſich der Em-
pfindungen bewußt war, die dadurch in ihm
hervorgerufen worden. Eduard hingegen war
allmälig durch Reflexion zu der Anſicht gekom-
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Lewald, Fanny: Jenny. Bd. 1. Leipzig, 1843, S. 99. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_jenny01_1843/111>, abgerufen am 22.11.2024.
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