Lewald, Fanny: Für und wider die Frauen. Berlin, 1870.mit antheilvoller Neugier davon, ob das Asyl sofort und von welcher Art von Frauen es zunächst benutzt werden würde. Es war am dritten Januar und in den Tagen feuchtes, nebliges Wetter, bald etwas Frost, dann thauender Schnee und eine böse Naßkälte. Abends, als ich vor Schlafengehen noch nach dem Thermometer sah, blickte ich in die Straße hinunter und dachte: wie gut ist's, daß das Asyl jetzt da ist; vielleicht hätte irgend ein armes Weib heute in diesem Wetter auf irgend einer schmutzigen, nassen Thürschwelle, hungernd und vor Kälte zitternd, die Nacht in aller seiner Noth und Sorge durchwachen müssen, das nun in dem Asyle gesättigt und von der Wärme eingeschläfert, doch für ein paar Stunden aller seiner Noth vergessen kann; und mir fielen im Gegensatze ein gut Theil der mir befreundeten Frauen ein, die gar nicht genug Mitgefühl und Theilnahme dafür bekommen können, wenn sie nach arbeits- und sorgenlosen Tagen, mit sanftem Mittagsschlaf, auf ihren weichen Pfühlen in der Nacht nicht so viel schlafen können, wie sie gern möchten! -- Ich war eingeschlafen mit dem Gedanken an das Asyl und wachte damit auf, denn man braucht den Blick nur einmal fest und ausschließlich auf irgend eine Stelle der allgemeinen Noth zu richten, um es mit Erschrecken inne zu werden, mit welcher Sorglosigkeit, ja, mit welchem Leichtsinn wir an alle den Abgründen des Elends vorbeigehen, von denen wir umgeben sind. mit antheilvoller Neugier davon, ob das Asyl sofort und von welcher Art von Frauen es zunächst benutzt werden würde. Es war am dritten Januar und in den Tagen feuchtes, nebliges Wetter, bald etwas Frost, dann thauender Schnee und eine böse Naßkälte. Abends, als ich vor Schlafengehen noch nach dem Thermometer sah, blickte ich in die Straße hinunter und dachte: wie gut ist's, daß das Asyl jetzt da ist; vielleicht hätte irgend ein armes Weib heute in diesem Wetter auf irgend einer schmutzigen, nassen Thürschwelle, hungernd und vor Kälte zitternd, die Nacht in aller seiner Noth und Sorge durchwachen müssen, das nun in dem Asyle gesättigt und von der Wärme eingeschläfert, doch für ein paar Stunden aller seiner Noth vergessen kann; und mir fielen im Gegensatze ein gut Theil der mir befreundeten Frauen ein, die gar nicht genug Mitgefühl und Theilnahme dafür bekommen können, wenn sie nach arbeits- und sorgenlosen Tagen, mit sanftem Mittagsschlaf, auf ihren weichen Pfühlen in der Nacht nicht so viel schlafen können, wie sie gern möchten! — Ich war eingeschlafen mit dem Gedanken an das Asyl und wachte damit auf, denn man braucht den Blick nur einmal fest und ausschließlich auf irgend eine Stelle der allgemeinen Noth zu richten, um es mit Erschrecken inne zu werden, mit welcher Sorglosigkeit, ja, mit welchem Leichtsinn wir an alle den Abgründen des Elends vorbeigehen, von denen wir umgeben sind. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0083" n="73"/> mit antheilvoller Neugier davon, ob das Asyl sofort und von welcher Art von Frauen es zunächst benutzt werden würde.</p> <p>Es war am dritten Januar und in den Tagen feuchtes, nebliges Wetter, bald etwas Frost, dann thauender Schnee und eine böse Naßkälte. Abends, als ich vor Schlafengehen noch nach dem Thermometer sah, blickte ich in die Straße hinunter und dachte: wie gut ist's, daß das Asyl jetzt da ist; vielleicht hätte irgend ein armes Weib heute in diesem Wetter auf irgend einer schmutzigen, nassen Thürschwelle, hungernd und vor Kälte zitternd, die Nacht in aller seiner Noth und Sorge durchwachen müssen, das nun in dem Asyle gesättigt und von der Wärme eingeschläfert, doch für ein paar Stunden aller seiner Noth vergessen kann; und mir fielen im Gegensatze ein gut Theil der mir befreundeten Frauen ein, die gar nicht genug Mitgefühl und Theilnahme dafür bekommen können, wenn sie nach arbeits- und sorgenlosen Tagen, mit sanftem Mittagsschlaf, auf ihren weichen Pfühlen in der Nacht nicht so viel schlafen können, wie sie gern möchten! — Ich war eingeschlafen mit dem Gedanken an das Asyl und wachte damit auf, denn man braucht den Blick nur einmal fest und ausschließlich auf irgend eine Stelle der allgemeinen Noth zu richten, um es mit Erschrecken inne zu werden, mit welcher Sorglosigkeit, ja, mit welchem Leichtsinn wir an alle den Abgründen des Elends vorbeigehen, von denen wir umgeben sind.</p> <p> </p> </div> </body> </text> </TEI> [73/0083]
mit antheilvoller Neugier davon, ob das Asyl sofort und von welcher Art von Frauen es zunächst benutzt werden würde.
Es war am dritten Januar und in den Tagen feuchtes, nebliges Wetter, bald etwas Frost, dann thauender Schnee und eine böse Naßkälte. Abends, als ich vor Schlafengehen noch nach dem Thermometer sah, blickte ich in die Straße hinunter und dachte: wie gut ist's, daß das Asyl jetzt da ist; vielleicht hätte irgend ein armes Weib heute in diesem Wetter auf irgend einer schmutzigen, nassen Thürschwelle, hungernd und vor Kälte zitternd, die Nacht in aller seiner Noth und Sorge durchwachen müssen, das nun in dem Asyle gesättigt und von der Wärme eingeschläfert, doch für ein paar Stunden aller seiner Noth vergessen kann; und mir fielen im Gegensatze ein gut Theil der mir befreundeten Frauen ein, die gar nicht genug Mitgefühl und Theilnahme dafür bekommen können, wenn sie nach arbeits- und sorgenlosen Tagen, mit sanftem Mittagsschlaf, auf ihren weichen Pfühlen in der Nacht nicht so viel schlafen können, wie sie gern möchten! — Ich war eingeschlafen mit dem Gedanken an das Asyl und wachte damit auf, denn man braucht den Blick nur einmal fest und ausschließlich auf irgend eine Stelle der allgemeinen Noth zu richten, um es mit Erschrecken inne zu werden, mit welcher Sorglosigkeit, ja, mit welchem Leichtsinn wir an alle den Abgründen des Elends vorbeigehen, von denen wir umgeben sind.
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Zitationshilfe: | Lewald, Fanny: Für und wider die Frauen. Berlin, 1870, S. 73. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_frauen_1870/83>, abgerufen am 04.07.2024. |