Lewald, Fanny: Für und wider die Frauen. Berlin, 1870.Anders als in diesen Volksklassen, in denen man es oft mit der ersten sittlichen Erhebung des weiblichen Geschlechts zu thun hat, stellt sich das Verhältniß in den gebildeten und doch für die Frauen des Selbsterwerbes bedürftigen Klassen, in denen die Mädchen, welche vielleicht nicht abgeneigt wären, sich zu ehrlicher Arbeit, zum Brodgewinn durch ein Gewerbe zu entschließen, häufig von diesem vernünftigen Vorsatze zurückgeschreckt werden, weil sie fürchten, dadurch der gesellschaftlichen Vortheile verlustig zu gehen, deren sie innerhalb ihrer Kaste bisher genossen hatten. Ich brauche das Wort Kaste ganz mit Absicht, denn unsere Gesellschaft hat in der That noch einen Kastengeist und Kastenvorurtheile, wenn sich die verschiedenen Kasten auch nicht durch ihre Kleidung oder durch sonst äußerlich in die Augen fallende Abzeichen wie in Indien unterscheiden. "Frau Stahr!" sagte mir einmal die Tochter eines Banquiers, der obenein noch Geheimer Commerzienrath war, als ich davon sprach, eine der ersten industriellen Familien zu besuchen, die wir im Bade hatten kennen lernen, "Frau Stahr, Sie werden doch nicht zu den Leuten gehen?" -- "Weshalb denn nicht?" -- "Ach, die haben ja einen offenen Laden!" -- Man konnte es in Bombay nicht besser verlangen. - Diesem Kastengeiste zu begegnen, ist von Seiten derjenigen Frauen, welche nicht zur Erwerbsarbeit genöthigt sind, eine der unerläßlichsten Pflichten, wenn man dem Anders als in diesen Volksklassen, in denen man es oft mit der ersten sittlichen Erhebung des weiblichen Geschlechts zu thun hat, stellt sich das Verhältniß in den gebildeten und doch für die Frauen des Selbsterwerbes bedürftigen Klassen, in denen die Mädchen, welche vielleicht nicht abgeneigt wären, sich zu ehrlicher Arbeit, zum Brodgewinn durch ein Gewerbe zu entschließen, häufig von diesem vernünftigen Vorsatze zurückgeschreckt werden, weil sie fürchten, dadurch der gesellschaftlichen Vortheile verlustig zu gehen, deren sie innerhalb ihrer Kaste bisher genossen hatten. Ich brauche das Wort Kaste ganz mit Absicht, denn unsere Gesellschaft hat in der That noch einen Kastengeist und Kastenvorurtheile, wenn sich die verschiedenen Kasten auch nicht durch ihre Kleidung oder durch sonst äußerlich in die Augen fallende Abzeichen wie in Indien unterscheiden. »Frau Stahr!« sagte mir einmal die Tochter eines Banquiers, der obenein noch Geheimer Commerzienrath war, als ich davon sprach, eine der ersten industriellen Familien zu besuchen, die wir im Bade hatten kennen lernen, »Frau Stahr, Sie werden doch nicht zu den Leuten gehen?« — »Weshalb denn nicht?« — »Ach, die haben ja einen offenen Laden!« — Man konnte es in Bombay nicht besser verlangen. – Diesem Kastengeiste zu begegnen, ist von Seiten derjenigen Frauen, welche nicht zur Erwerbsarbeit genöthigt sind, eine der unerläßlichsten Pflichten, wenn man dem <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0058" n="48"/> Anders als in diesen Volksklassen, in denen man es oft mit der ersten sittlichen Erhebung des weiblichen Geschlechts zu thun hat, stellt sich das Verhältniß in den gebildeten und doch für die Frauen des Selbsterwerbes bedürftigen Klassen, in denen die Mädchen, welche vielleicht nicht abgeneigt wären, sich zu ehrlicher Arbeit, zum Brodgewinn durch ein Gewerbe zu entschließen, häufig von diesem vernünftigen Vorsatze zurückgeschreckt werden, weil sie fürchten, dadurch der gesellschaftlichen Vortheile verlustig zu gehen, deren sie innerhalb ihrer Kaste bisher genossen hatten. Ich brauche das Wort Kaste ganz mit Absicht, denn unsere Gesellschaft hat in der That noch einen Kastengeist und Kastenvorurtheile, wenn sich die verschiedenen Kasten auch nicht durch ihre Kleidung oder durch sonst äußerlich in die Augen fallende Abzeichen wie in Indien unterscheiden.</p> <p>»Frau Stahr!« sagte mir einmal die Tochter eines Banquiers, der obenein noch Geheimer Commerzienrath war, als ich davon sprach, eine der ersten industriellen Familien zu besuchen, die wir im Bade hatten kennen lernen, »Frau Stahr, Sie werden doch nicht zu den Leuten gehen?« — »Weshalb denn nicht?« — »Ach, die haben ja einen offenen Laden!« — Man konnte es in Bombay nicht besser verlangen. –</p> <p>Diesem Kastengeiste zu begegnen, ist von Seiten derjenigen Frauen, welche nicht zur Erwerbsarbeit genöthigt sind, eine der unerläßlichsten Pflichten, wenn man dem </p> </div> </body> </text> </TEI> [48/0058]
Anders als in diesen Volksklassen, in denen man es oft mit der ersten sittlichen Erhebung des weiblichen Geschlechts zu thun hat, stellt sich das Verhältniß in den gebildeten und doch für die Frauen des Selbsterwerbes bedürftigen Klassen, in denen die Mädchen, welche vielleicht nicht abgeneigt wären, sich zu ehrlicher Arbeit, zum Brodgewinn durch ein Gewerbe zu entschließen, häufig von diesem vernünftigen Vorsatze zurückgeschreckt werden, weil sie fürchten, dadurch der gesellschaftlichen Vortheile verlustig zu gehen, deren sie innerhalb ihrer Kaste bisher genossen hatten. Ich brauche das Wort Kaste ganz mit Absicht, denn unsere Gesellschaft hat in der That noch einen Kastengeist und Kastenvorurtheile, wenn sich die verschiedenen Kasten auch nicht durch ihre Kleidung oder durch sonst äußerlich in die Augen fallende Abzeichen wie in Indien unterscheiden.
»Frau Stahr!« sagte mir einmal die Tochter eines Banquiers, der obenein noch Geheimer Commerzienrath war, als ich davon sprach, eine der ersten industriellen Familien zu besuchen, die wir im Bade hatten kennen lernen, »Frau Stahr, Sie werden doch nicht zu den Leuten gehen?« — »Weshalb denn nicht?« — »Ach, die haben ja einen offenen Laden!« — Man konnte es in Bombay nicht besser verlangen. –
Diesem Kastengeiste zu begegnen, ist von Seiten derjenigen Frauen, welche nicht zur Erwerbsarbeit genöthigt sind, eine der unerläßlichsten Pflichten, wenn man dem
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