Lewald, Fanny: Für und wider die Frauen. Berlin, 1870.In gleicher Weise ist es hergegangen, als die Beamtenfamilien anfingen, noch bei Lebzeiten der Väter ihre Töchter Lehrerinnen werden zu lassen. Man schützte anfangs eine unüberwindliche Neigung der Mädchen zum Unterrichten vor; man gab an, daß man sie "für mögliche Nothfälle, die doch Jedem begegnen könnten," zur Selbsthülfe fähig machen wollte; man wand und drückte sich mit lauter Verstellungen und Ausflüchten herum, an die Niemand glaubte, weil Jedermann sich sagen konnte, daß eine Familie mit so und so viel Kindern von dem Gehalte des Vaters nicht zu leben im Stande wäre, und daß die Noth, von der man als von einer fernen Möglichkeit spreche, längst eingetreten sei. Mit den Gewerbeschulen und der Gewerbthätigkeit der Frauen wird es sich nicht anders machen. Haben nur erst die Frauen und Mädchen aus den bürgerlichen Kreisen, in welchen man seit langen Zeiten daran gewöhnt ist, sie arbeiten zu lassen, durch die Benutzung der, ihnen jetzt von der Privatwohlthätigkeit dargebotenen Gewerbeschulen Vortheil gezogen, wird man erst gesehen haben, daß die Tochter des Rendanten A. in einer Handlung vierhundert Thaler als Buchführer, die Tochter des Bäckermeister B. fünfhundert Thaler als Werkführerin in einer Wäschehandlung erhält, daß dies Mädchen als Telegraphist, jenes als Ciseleur, ein drittes als Bandagist eine gute Einnahme hat, und machen die gebildeten und wohldenkenden Familien es sich zur Pflicht, gerade solche In gleicher Weise ist es hergegangen, als die Beamtenfamilien anfingen, noch bei Lebzeiten der Väter ihre Töchter Lehrerinnen werden zu lassen. Man schützte anfangs eine unüberwindliche Neigung der Mädchen zum Unterrichten vor; man gab an, daß man sie »für mögliche Nothfälle, die doch Jedem begegnen könnten,« zur Selbsthülfe fähig machen wollte; man wand und drückte sich mit lauter Verstellungen und Ausflüchten herum, an die Niemand glaubte, weil Jedermann sich sagen konnte, daß eine Familie mit so und so viel Kindern von dem Gehalte des Vaters nicht zu leben im Stande wäre, und daß die Noth, von der man als von einer fernen Möglichkeit spreche, längst eingetreten sei. Mit den Gewerbeschulen und der Gewerbthätigkeit der Frauen wird es sich nicht anders machen. Haben nur erst die Frauen und Mädchen aus den bürgerlichen Kreisen, in welchen man seit langen Zeiten daran gewöhnt ist, sie arbeiten zu lassen, durch die Benutzung der, ihnen jetzt von der Privatwohlthätigkeit dargebotenen Gewerbeschulen Vortheil gezogen, wird man erst gesehen haben, daß die Tochter des Rendanten A. in einer Handlung vierhundert Thaler als Buchführer, die Tochter des Bäckermeister B. fünfhundert Thaler als Werkführerin in einer Wäschehandlung erhält, daß dies Mädchen als Telegraphist, jenes als Ciseleur, ein drittes als Bandagist eine gute Einnahme hat, und machen die gebildeten und wohldenkenden Familien es sich zur Pflicht, gerade solche <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0048" n="38"/> In gleicher Weise ist es hergegangen, als die Beamtenfamilien anfingen, noch bei Lebzeiten der Väter ihre Töchter Lehrerinnen werden zu lassen. Man schützte anfangs eine unüberwindliche Neigung der Mädchen zum Unterrichten vor; man gab an, daß man sie »für mögliche Nothfälle, die doch Jedem begegnen <hi rendition="#g">könnten</hi>,« zur Selbsthülfe fähig machen wollte; man wand und drückte sich mit lauter Verstellungen und Ausflüchten herum, an die Niemand glaubte, weil Jedermann sich sagen konnte, daß eine Familie mit so und so viel Kindern von dem Gehalte des Vaters nicht zu leben im Stande wäre, und daß die Noth, von der man als von einer fernen Möglichkeit spreche, längst eingetreten sei.</p> <p>Mit den Gewerbeschulen und der Gewerbthätigkeit der Frauen wird es sich nicht anders machen. Haben nur erst die Frauen und Mädchen aus den bürgerlichen Kreisen, in welchen man seit langen Zeiten daran gewöhnt ist, sie arbeiten zu lassen, durch die Benutzung der, ihnen jetzt von der Privatwohlthätigkeit dargebotenen Gewerbeschulen Vortheil gezogen, wird man erst gesehen haben, daß die Tochter des Rendanten A. in einer Handlung vierhundert Thaler als Buchführer, die Tochter des Bäckermeister B. fünfhundert Thaler als Werkführerin in einer Wäschehandlung erhält, daß dies Mädchen als Telegraphist, jenes als Ciseleur, ein drittes als Bandagist eine gute Einnahme hat, und machen die gebildeten und wohldenkenden Familien es sich zur Pflicht, gerade solche </p> </div> </body> </text> </TEI> [38/0048]
In gleicher Weise ist es hergegangen, als die Beamtenfamilien anfingen, noch bei Lebzeiten der Väter ihre Töchter Lehrerinnen werden zu lassen. Man schützte anfangs eine unüberwindliche Neigung der Mädchen zum Unterrichten vor; man gab an, daß man sie »für mögliche Nothfälle, die doch Jedem begegnen könnten,« zur Selbsthülfe fähig machen wollte; man wand und drückte sich mit lauter Verstellungen und Ausflüchten herum, an die Niemand glaubte, weil Jedermann sich sagen konnte, daß eine Familie mit so und so viel Kindern von dem Gehalte des Vaters nicht zu leben im Stande wäre, und daß die Noth, von der man als von einer fernen Möglichkeit spreche, längst eingetreten sei.
Mit den Gewerbeschulen und der Gewerbthätigkeit der Frauen wird es sich nicht anders machen. Haben nur erst die Frauen und Mädchen aus den bürgerlichen Kreisen, in welchen man seit langen Zeiten daran gewöhnt ist, sie arbeiten zu lassen, durch die Benutzung der, ihnen jetzt von der Privatwohlthätigkeit dargebotenen Gewerbeschulen Vortheil gezogen, wird man erst gesehen haben, daß die Tochter des Rendanten A. in einer Handlung vierhundert Thaler als Buchführer, die Tochter des Bäckermeister B. fünfhundert Thaler als Werkführerin in einer Wäschehandlung erhält, daß dies Mädchen als Telegraphist, jenes als Ciseleur, ein drittes als Bandagist eine gute Einnahme hat, und machen die gebildeten und wohldenkenden Familien es sich zur Pflicht, gerade solche
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Zitationshilfe: | Lewald, Fanny: Für und wider die Frauen. Berlin, 1870, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_frauen_1870/48>, abgerufen am 16.07.2024. |