Lewald, Fanny: Für und wider die Frauen. Berlin, 1870.Krämer, Regierungsrath, Doctor oder Major gewesen -- gleichviel! Er war der Ernährer gewesen und war gestorben. Mit Mühe, oft auch mit ungeheuren Anstrengungen hatte er die Summe alljährlich erworben, deren die Seinen zu ihrem Unterhalte benöthigt gewesen waren. Die Frau, die er als echt weibliches und ganz häuslich gewöhntes Mädchen vor jenen fünfundzwanzig oder dreißig Jahren geheirathet, hatte es wohl verstanden, das Geld, welches der Mann erwarb, zu Rathe zu halten und aus dem Thaler sogar mehr als manche Andere mit den dreißig Groschen zu machen, und man hatte von ihr auch -- nach der Vorschrift -- nichts gehört, als daß sie so und so viel Kinder geboren, und was sie etwa selber ihren Bekannten von ihren häuslichen Leiden und Freuden zu sagen und zu klagen für gut befunden hatte. Nun aber war der Ernährer todt; die Mutter saß da, die Töchter, die auch alle für die Ehe und für den keuschen Dämmer des Hauses erzogen worden, saßen daneben. Sie würden gern immer weiter gespart haben wie sonst, zusammengehalten haben wie sonst; es kam nur nichts mehr in das Haus, was zusammengehalten werden konnte; und der rechte, tiefe, geheiligte und reine Schmerz um den Gatten und den Vater ward entweiht durch den Gedanken, daß der Ernährer gestorben sei. Die reine Empfindung ward durch die Nahrungssorge erstickt. -- Statt mit liebenden Erinnerungen sich in die Vergangenheit versenken zu können, saßen die Mutter und die Töchter Krämer, Regierungsrath, Doctor oder Major gewesen — gleichviel! Er war der Ernährer gewesen und war gestorben. Mit Mühe, oft auch mit ungeheuren Anstrengungen hatte er die Summe alljährlich erworben, deren die Seinen zu ihrem Unterhalte benöthigt gewesen waren. Die Frau, die er als echt weibliches und ganz häuslich gewöhntes Mädchen vor jenen fünfundzwanzig oder dreißig Jahren geheirathet, hatte es wohl verstanden, das Geld, welches der Mann erwarb, zu Rathe zu halten und aus dem Thaler sogar mehr als manche Andere mit den dreißig Groschen zu machen, und man hatte von ihr auch — nach der Vorschrift — nichts gehört, als daß sie so und so viel Kinder geboren, und was sie etwa selber ihren Bekannten von ihren häuslichen Leiden und Freuden zu sagen und zu klagen für gut befunden hatte. Nun aber war der Ernährer todt; die Mutter saß da, die Töchter, die auch alle für die Ehe und für den keuschen Dämmer des Hauses erzogen worden, saßen daneben. Sie würden gern immer weiter gespart haben wie sonst, zusammengehalten haben wie sonst; es kam nur nichts mehr in das Haus, was zusammengehalten werden konnte; und der rechte, tiefe, geheiligte und reine Schmerz um den Gatten und den Vater ward entweiht durch den Gedanken, daß der Ernährer gestorben sei. Die reine Empfindung ward durch die Nahrungssorge erstickt. — Statt mit liebenden Erinnerungen sich in die Vergangenheit versenken zu können, saßen die Mutter und die Töchter <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0018" n="8"/> Krämer, Regierungsrath, Doctor oder Major gewesen — gleichviel! Er war der Ernährer gewesen und war gestorben. Mit Mühe, oft auch mit ungeheuren Anstrengungen hatte er die Summe alljährlich erworben, deren die Seinen zu ihrem Unterhalte benöthigt gewesen waren. Die Frau, die er als echt weibliches und ganz häuslich gewöhntes Mädchen vor jenen fünfundzwanzig oder dreißig Jahren geheirathet, hatte es wohl verstanden, das Geld, welches der Mann erwarb, zu Rathe zu halten und aus dem Thaler sogar mehr als manche Andere mit den dreißig Groschen zu machen, und man hatte von ihr auch — nach der Vorschrift — nichts gehört, als daß sie so und so viel Kinder geboren, und was sie etwa selber ihren Bekannten von ihren häuslichen Leiden und Freuden zu sagen und zu klagen für gut befunden hatte. Nun aber war der Ernährer todt; die Mutter saß da, die Töchter, die auch alle für die Ehe und für den keuschen Dämmer des Hauses erzogen worden, saßen daneben. Sie würden gern immer weiter gespart haben wie sonst, zusammengehalten haben wie sonst; es kam nur nichts mehr in das Haus, was zusammengehalten werden konnte; und der rechte, tiefe, geheiligte und reine Schmerz um den Gatten und den Vater ward entweiht durch den Gedanken, daß der Ernährer gestorben sei. Die reine Empfindung ward durch die Nahrungssorge erstickt. — Statt mit liebenden Erinnerungen sich in die Vergangenheit versenken zu können, saßen die Mutter und die Töchter </p> </div> </body> </text> </TEI> [8/0018]
Krämer, Regierungsrath, Doctor oder Major gewesen — gleichviel! Er war der Ernährer gewesen und war gestorben. Mit Mühe, oft auch mit ungeheuren Anstrengungen hatte er die Summe alljährlich erworben, deren die Seinen zu ihrem Unterhalte benöthigt gewesen waren. Die Frau, die er als echt weibliches und ganz häuslich gewöhntes Mädchen vor jenen fünfundzwanzig oder dreißig Jahren geheirathet, hatte es wohl verstanden, das Geld, welches der Mann erwarb, zu Rathe zu halten und aus dem Thaler sogar mehr als manche Andere mit den dreißig Groschen zu machen, und man hatte von ihr auch — nach der Vorschrift — nichts gehört, als daß sie so und so viel Kinder geboren, und was sie etwa selber ihren Bekannten von ihren häuslichen Leiden und Freuden zu sagen und zu klagen für gut befunden hatte. Nun aber war der Ernährer todt; die Mutter saß da, die Töchter, die auch alle für die Ehe und für den keuschen Dämmer des Hauses erzogen worden, saßen daneben. Sie würden gern immer weiter gespart haben wie sonst, zusammengehalten haben wie sonst; es kam nur nichts mehr in das Haus, was zusammengehalten werden konnte; und der rechte, tiefe, geheiligte und reine Schmerz um den Gatten und den Vater ward entweiht durch den Gedanken, daß der Ernährer gestorben sei. Die reine Empfindung ward durch die Nahrungssorge erstickt. — Statt mit liebenden Erinnerungen sich in die Vergangenheit versenken zu können, saßen die Mutter und die Töchter
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Zitationshilfe: | Lewald, Fanny: Für und wider die Frauen. Berlin, 1870, S. 8. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lewald_frauen_1870/18>, abgerufen am 16.07.2024. |