Lewald, Fanny: Adele. 2. Ausg. Berlin, 1864.Mißbehagen, eine Scheu vor der Oeffentlichkeit. Sie hatte nicht aus jenem freien, unbefangenen Schöpferdrange gedichtet, der eben weil er unbefangen, auch mittheilsam und arglos ist. Ihre Dichtung war das Resultat eines persönlichen Schmerzes, dessen Darlegung auch wieder nur einem einzigen Menschen gegolten hatte. Nur an sich und an ihn hatte sie gedacht, als sie, ihrer maßlosen Leidenschaft folgend, das Bild ihres unklaren, verworrenen Verhältnisses zu Hellwig auf das Papier geworfen. "Was wird Er sagen?" das war der Gedanke gewesen, der sie bei jeder Zeile erfüllte. Jetzt fragte sie sich zum ersten Male: "Was werden die Leser dazu sagen?" und eine herzbeklemmende Angst kam über sie. Hätte Samuel nur gesprochen, so wäre Alles besser gewesen; aber daß er so lautlos da saß, er, in dessen ernstem, scharfem Ausdruck sich der mitleidlose Ernst all ihrer Leser, des Publikums und der Kritik, personificirte, das raubte Mißbehagen, eine Scheu vor der Oeffentlichkeit. Sie hatte nicht aus jenem freien, unbefangenen Schöpferdrange gedichtet, der eben weil er unbefangen, auch mittheilsam und arglos ist. Ihre Dichtung war das Resultat eines persönlichen Schmerzes, dessen Darlegung auch wieder nur einem einzigen Menschen gegolten hatte. Nur an sich und an ihn hatte sie gedacht, als sie, ihrer maßlosen Leidenschaft folgend, das Bild ihres unklaren, verworrenen Verhältnisses zu Hellwig auf das Papier geworfen. “Was wird Er sagen?” das war der Gedanke gewesen, der sie bei jeder Zeile erfüllte. Jetzt fragte sie sich zum ersten Male: “Was werden die Leser dazu sagen?” und eine herzbeklemmende Angst kam über sie. Hätte Samuel nur gesprochen, so wäre Alles besser gewesen; aber daß er so lautlos da saß, er, in dessen ernstem, scharfem Ausdruck sich der mitleidlose Ernst all ihrer Leser, des Publikums und der Kritik, personificirte, das raubte <TEI> <text> <body> <div n="1"> <p><pb facs="#f0090" n="80"/> Mißbehagen, eine Scheu vor der Oeffentlichkeit. Sie hatte nicht aus jenem freien, unbefangenen Schöpferdrange gedichtet, der eben weil er unbefangen, auch mittheilsam und arglos ist. Ihre Dichtung war das Resultat eines persönlichen Schmerzes, dessen Darlegung auch wieder nur einem einzigen Menschen gegolten hatte. Nur an sich und an ihn hatte sie gedacht, als sie, ihrer maßlosen Leidenschaft folgend, das Bild ihres unklaren, verworrenen Verhältnisses zu Hellwig auf das Papier geworfen. “Was wird Er sagen?” das war der Gedanke gewesen, der sie bei jeder Zeile erfüllte. Jetzt fragte sie sich zum ersten Male: “Was werden die Leser dazu sagen?” und eine herzbeklemmende Angst kam über sie.</p> <p> Hätte Samuel nur gesprochen, so wäre Alles besser gewesen; aber daß er so lautlos da saß, er, in dessen ernstem, scharfem Ausdruck sich der mitleidlose Ernst all ihrer Leser, des Publikums und der Kritik, personificirte, das raubte </p> </div> </body> </text> </TEI> [80/0090]
Mißbehagen, eine Scheu vor der Oeffentlichkeit. Sie hatte nicht aus jenem freien, unbefangenen Schöpferdrange gedichtet, der eben weil er unbefangen, auch mittheilsam und arglos ist. Ihre Dichtung war das Resultat eines persönlichen Schmerzes, dessen Darlegung auch wieder nur einem einzigen Menschen gegolten hatte. Nur an sich und an ihn hatte sie gedacht, als sie, ihrer maßlosen Leidenschaft folgend, das Bild ihres unklaren, verworrenen Verhältnisses zu Hellwig auf das Papier geworfen. “Was wird Er sagen?” das war der Gedanke gewesen, der sie bei jeder Zeile erfüllte. Jetzt fragte sie sich zum ersten Male: “Was werden die Leser dazu sagen?” und eine herzbeklemmende Angst kam über sie.
Hätte Samuel nur gesprochen, so wäre Alles besser gewesen; aber daß er so lautlos da saß, er, in dessen ernstem, scharfem Ausdruck sich der mitleidlose Ernst all ihrer Leser, des Publikums und der Kritik, personificirte, das raubte
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