Levezow, Konrad: Iphigenia in Aulis. Halle, 1805.
Woher der Geist in eines schwachen Mädchens Brust? Leiht die Verzweifelung dir diese Worte? Ist es der Nachhall nur aus Kalchas Munde? - Verwirf ihn nicht den Rettungsarm! komm! folge mir! - Iphigenia. So willst du mich denn nicht verstehn, Achill? O, höre mich! - Ich bin ein Weib. Mich schuf Mit weichem Herzen die Natur. Der Schmerz, So wie die Freude, fand in meiner Brust Den gleichen, weiten Raum. Des Fremden Glück Erfreute, wie das eigne, mich. Das Leid Des Menschen außer mir schlug auch in mir Des Mitleids zarte Saiten an. Noch mehr: Die Liebe selbst ergriff mein fühlend Herz; Sie wohnt auch noch darin. Genug. - Ihr seyd
Woher der Geist in eines schwachen Maͤdchens Brust? Leiht die Verzweifelung dir diese Worte? Ist es der Nachhall nur aus Kalchas Munde? – Verwirf ihn nicht den Rettungsarm! komm! folge mir! – Iphigenia. So willst du mich denn nicht verstehn, Achill? O, hoͤre mich! – Ich bin ein Weib. Mich schuf Mit weichem Herzen die Natur. Der Schmerz, So wie die Freude, fand in meiner Brust Den gleichen, weiten Raum. Des Fremden Gluͤck Erfreute, wie das eigne, mich. Das Leid Des Menschen außer mir schlug auch in mir Des Mitleids zarte Saiten an. Noch mehr: Die Liebe selbst ergriff mein fuͤhlend Herz; Sie wohnt auch noch darin. Genug. – Ihr seyd <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#ACH"> <p><pb facs="#f0195" n="187"/> Woher <hi rendition="#g">der</hi> Geist in eines schwachen Maͤdchens<lb/> Brust?<lb/> Leiht die Verzweifelung dir diese Worte?<lb/> Ist es der Nachhall nur aus Kalchas Munde? –<lb/> Verwirf ihn nicht den Rettungsarm! komm! folge<lb/> mir! –</p> </sp><lb/> <sp who="#IPH"> <speaker><hi rendition="#g">Iphigenia</hi>.</speaker><lb/> <p>So willst du mich denn nicht verstehn, Achill?<lb/> O, hoͤre mich! – Ich bin ein Weib. Mich<lb/> schuf<lb/> Mit weichem Herzen die Natur. Der Schmerz,<lb/> So wie die Freude, fand in meiner Brust<lb/> Den gleichen, weiten Raum. Des Fremden Gluͤck<lb/> Erfreute, wie das eigne, mich. Das Leid<lb/> Des Menschen außer mir schlug auch in mir<lb/> Des Mitleids zarte Saiten an. Noch mehr:<lb/> Die Liebe selbst ergriff mein fuͤhlend Herz;<lb/> Sie wohnt auch noch darin. Genug. – Ihr<lb/> seyd<lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [187/0195]
Woher der Geist in eines schwachen Maͤdchens
Brust?
Leiht die Verzweifelung dir diese Worte?
Ist es der Nachhall nur aus Kalchas Munde? –
Verwirf ihn nicht den Rettungsarm! komm! folge
mir! –
Iphigenia.
So willst du mich denn nicht verstehn, Achill?
O, hoͤre mich! – Ich bin ein Weib. Mich
schuf
Mit weichem Herzen die Natur. Der Schmerz,
So wie die Freude, fand in meiner Brust
Den gleichen, weiten Raum. Des Fremden Gluͤck
Erfreute, wie das eigne, mich. Das Leid
Des Menschen außer mir schlug auch in mir
Des Mitleids zarte Saiten an. Noch mehr:
Die Liebe selbst ergriff mein fuͤhlend Herz;
Sie wohnt auch noch darin. Genug. – Ihr
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