[Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Andrer Theil. Halle (Saale), 1753.Erzbisch. Wilhelm. zur Zeit der Regierung Gotthard Kettlers. aber dieses niemand sagen wird; so wird es wol bey dem Sprichwort der Publicisten bleiben: Schutz und Schirm giebt keine Obrigkeit; welcher Ausdruck nichts an- ders zu verstehen giebt, als daß die Schutznehmung andrer einen nicht gleich zum Lan- desherrn, oder die Beschützten zu Unterthanen desselben mache. Das Schutzamt machte dem Papst so wol als dem Kaiser eine unzehlbare Menge Schutzverwandte in allen christlichen Reichen der Welt, keinesweges aber Vasallen und Unterthanen. 4. Aus dem deutschen Staatsrechte. Vermöge desselben konte keine Provinz dem Reiche zugeschlagen werden, welche ein Staat des Reichs auf eigne Kosten ausserhalb Deutschland eroberte. Die ersten Bezwinger von Liefland empfiengen vom Reich keinen Kreutzer, sondern übertrugen nur dem Kaiser das Land zur Beschirmung, dessen Schutzamt über die geistlichen Güter ausser dem deutschen Rechte auch in den päpstli- chen und römischen Gesetzen gegründet war. 5. Aus der Natur der geistlichen Güter selbst. Weder der Kaiser noch das Reich genossen den geringsten Nutzen davon, indem Liefland, als eine Provinz eines geistli- chen Ordens von allen Steuren, Abgaben und Contingenten frey blieb, der Kaiser auch über die Abgaben der Tempelherren, weil sie geistliche Güter besassen, nichts ver- anstalten konte. Daher auch weder der Kaiser noch das Reich ihre Truppen in Lief- land zum Schutz fertig hielten, welcher Schutz gewis eine eigene Armee erfordert hätte. Der Erzbischof Friedrich überlies im 13 Jahrh. sein Stift dem König von Dännemark zur Beschützung, dabey an das saluum Romani Imperii directum dominium nicht ge- dacht worden. 6. Aus der Gleichgültigkeit des Kaisers gegen die liefländische Unterwerfung un- ter Pohlen. Weder das Reich noch der Kaiser würden dieser Unterwerfung so ge- lassen zugesehen haben, wenn sie ihre Unterthanen, nicht aber Schutzgenossen betroffen hätte. Jn der ganzen Historie komt kein Beispiel vor, da der Kaiser oder das Reich sich ein so wichtiges eigenes Land ohne Schwerdtschlag und Protestation entziehen lassen. Niemand protestirte wider die Veräusserung der Bistümer Oesel und Curland. Niemand hat sich deswegen mit Dännemark überworsen. Die Schweden blieben wegen Estland so wol unangefochten, als die Pohlen wegen Liefland. Den Lief- ländern selbst ist vom Reiche kein Vorwurf des Abfals und der Untreue gemacht wor- den. Der Kaiser dachte bey Schweden in 90, bey Pohlen und Dännemark aber in 100 Jahren nicht an Liefland. Was beim stetinschen Friedensschlusse 1570 wegen Zurückgebung der Stadt Revel erinnert wurde, war unerheblich. Was Franciscus Jrenicus von vielfältigen Protestationen wider die liefländische Zer- gliederung im 17ten Seculo schreibet, ist ohne Beweis angeführet. Wenigstens mach- te der Kaiser Leopold auf dem olivischen Frieden noch keine Ansprüche auf Liefland. Solte aber wol ein so grosser Monarch seiner Rechte und Ansprüche so unwissend seyn, oder wenn er sie gewust, so saumselig, dieselben aufrecht und gültig zu erhalten? 7. Aus des Kanzlers Goldasts Zeugnis. Liefland sträubte sich auf dem Reichs- tage zu Trier 1512 eben so wie Böhmen und Preussen, als man diese Länder einem deutschen Kreise zuschlagen wolte, damit es nicht den Schein einer Unterwerfung ha- ben möchte. Der Papst litte auch nicht, daß der Kaiser dem Herrn Meister gegen die Stadt Riga Vorschub that, sondern that den Herrn Meister in den Ban und setzte ihn den 13ten December 1481 ab, verbot auch den Preussen, ihm keine Hülfe zu lei- sten, den 14ten Julii 1482. War nun der Kaiser nach catholischen Lehrsätzen das Schutz- haupt aller geistlichen Geselschaften; so war es auch der Papst. Beide gaben sich mit politischen Händeln ab. Der Papst belehnte den Orden, der Kaiser auch, zum deut- lichen Beweis, daß der Kaiser über das alte Liefland nichts mehr als der Papst zu sagen hatte. Kurz, sie waren beide Schutzherren. Es liessen sich für die Ununterwürfigkeit von Liefland unter das Reich noch viel andre Gründe anbringen, als: daß die freiherrliche Familie von Ungern sich einen besondern kaiserlichen Schutzbrief ausgewirket, daß der Kaiser Liefland nie in seinem Titel ge- führet, daß ihm von den Liefländern nie gehuldiget worden, daß von Seiten des Reichs nie ein Soldat im Lande gelegen, daß die alten und neuen Erdbeschreiber die Weichsel als die Grenze von Deutschland ansetzen; wenn diese Beweistümer einer Ausführung nöthig hätten. Der berühmte Doctor der Rechten und Professor zu Strasburg, Herr Johan Heinrich Boecler hat 1711 in 4. eine Diatribam de acquisito et amisso Imperii Ro- mano-Germanici in Liuoniam iure herausgegeben, in welchem Tractat der Verlust des römischen Reichs in Absicht seiner Ansprüche auf Liefland zwar erwiesen, dabey aber ein altes landesherrliches Recht des Kaisers von ihm, wie von andern Publici- sten, voraus gesetzet worden. Er führet den Beweis davon aus unterschiedlichen Grün- F f f f
Erzbiſch. Wilhelm. zur Zeit der Regierung Gotthard Kettlers. aber dieſes niemand ſagen wird; ſo wird es wol bey dem Sprichwort der Publiciſten bleiben: Schutz und Schirm giebt keine Obrigkeit; welcher Ausdruck nichts an- ders zu verſtehen giebt, als daß die Schutznehmung andrer einen nicht gleich zum Lan- desherrn, oder die Beſchuͤtzten zu Unterthanen deſſelben mache. Das Schutzamt machte dem Papſt ſo wol als dem Kaiſer eine unzehlbare Menge Schutzverwandte in allen chriſtlichen Reichen der Welt, keinesweges aber Vaſallen und Unterthanen. 4. Aus dem deutſchen Staatsrechte. Vermoͤge deſſelben konte keine Provinz dem Reiche zugeſchlagen werden, welche ein Staat des Reichs auf eigne Koſten auſſerhalb Deutſchland eroberte. Die erſten Bezwinger von Liefland empfiengen vom Reich keinen Kreutzer, ſondern uͤbertrugen nur dem Kaiſer das Land zur Beſchirmung, deſſen Schutzamt uͤber die geiſtlichen Guͤter auſſer dem deutſchen Rechte auch in den paͤpſtli- chen und roͤmiſchen Geſetzen gegruͤndet war. 5. Aus der Natur der geiſtlichen Guͤter ſelbſt. Weder der Kaiſer noch das Reich genoſſen den geringſten Nutzen davon, indem Liefland, als eine Provinz eines geiſtli- chen Ordens von allen Steuren, Abgaben und Contingenten frey blieb, der Kaiſer auch uͤber die Abgaben der Tempelherren, weil ſie geiſtliche Guͤter beſaſſen, nichts ver- anſtalten konte. Daher auch weder der Kaiſer noch das Reich ihre Truppen in Lief- land zum Schutz fertig hielten, welcher Schutz gewis eine eigene Armee erfordert haͤtte. Der Erzbiſchof Friedrich uͤberlies im 13 Jahrh. ſein Stift dem Koͤnig von Daͤnnemark zur Beſchuͤtzung, dabey an das ſaluum Romani Imperii directum dominium nicht ge- dacht worden. 6. Aus der Gleichguͤltigkeit des Kaiſers gegen die lieflaͤndiſche Unterwerfung un- ter Pohlen. Weder das Reich noch der Kaiſer wuͤrden dieſer Unterwerfung ſo ge- laſſen zugeſehen haben, wenn ſie ihre Unterthanen, nicht aber Schutzgenoſſen betroffen haͤtte. Jn der ganzen Hiſtorie komt kein Beiſpiel vor, da der Kaiſer oder das Reich ſich ein ſo wichtiges eigenes Land ohne Schwerdtſchlag und Proteſtation entziehen laſſen. Niemand proteſtirte wider die Veraͤuſſerung der Biſtuͤmer Oeſel und Curland. Niemand hat ſich deswegen mit Daͤnnemark uͤberworſen. Die Schweden blieben wegen Eſtland ſo wol unangefochten, als die Pohlen wegen Liefland. Den Lief- laͤndern ſelbſt iſt vom Reiche kein Vorwurf des Abfals und der Untreue gemacht wor- den. Der Kaiſer dachte bey Schweden in 90, bey Pohlen und Daͤnnemark aber in 100 Jahren nicht an Liefland. Was beim ſtetinſchen Friedensſchluſſe 1570 wegen Zuruͤckgebung der Stadt Revel erinnert wurde, war unerheblich. Was Franciſcus Jrenicus von vielfaͤltigen Proteſtationen wider die lieflaͤndiſche Zer- gliederung im 17ten Seculo ſchreibet, iſt ohne Beweis angefuͤhret. Wenigſtens mach- te der Kaiſer Leopold auf dem oliviſchen Frieden noch keine Anſpruͤche auf Liefland. Solte aber wol ein ſo groſſer Monarch ſeiner Rechte und Anſpruͤche ſo unwiſſend ſeyn, oder wenn er ſie gewuſt, ſo ſaumſelig, dieſelben aufrecht und guͤltig zu erhalten? 7. Aus des Kanzlers Goldaſts Zeugnis. Liefland ſtraͤubte ſich auf dem Reichs- tage zu Trier 1512 eben ſo wie Boͤhmen und Preuſſen, als man dieſe Laͤnder einem deutſchen Kreiſe zuſchlagen wolte, damit es nicht den Schein einer Unterwerfung ha- ben moͤchte. Der Papſt litte auch nicht, daß der Kaiſer dem Herrn Meiſter gegen die Stadt Riga Vorſchub that, ſondern that den Herrn Meiſter in den Ban und ſetzte ihn den 13ten December 1481 ab, verbot auch den Preuſſen, ihm keine Huͤlfe zu lei- ſten, den 14ten Julii 1482. War nun der Kaiſer nach catholiſchen Lehrſaͤtzen das Schutz- haupt aller geiſtlichen Geſelſchaften; ſo war es auch der Papſt. Beide gaben ſich mit politiſchen Haͤndeln ab. Der Papſt belehnte den Orden, der Kaiſer auch, zum deut- lichen Beweis, daß der Kaiſer uͤber das alte Liefland nichts mehr als der Papſt zu ſagen hatte. Kurz, ſie waren beide Schutzherren. Es lieſſen ſich fuͤr die Ununterwuͤrfigkeit von Liefland unter das Reich noch viel andre Gruͤnde anbringen, als: daß die freiherrliche Familie von Ungern ſich einen beſondern kaiſerlichen Schutzbrief ausgewirket, daß der Kaiſer Liefland nie in ſeinem Titel ge- fuͤhret, daß ihm von den Lieflaͤndern nie gehuldiget worden, daß von Seiten des Reichs nie ein Soldat im Lande gelegen, daß die alten und neuen Erdbeſchreiber die Weichſel als die Grenze von Deutſchland anſetzen; wenn dieſe Beweistuͤmer einer Ausfuͤhrung noͤthig haͤtten. Der beruͤhmte Doctor der Rechten und Profeſſor zu Strasburg, Herr Johan Heinrich Boecler hat 1711 in 4. eine Diatribam de acquiſito et amiſſo Imperii Ro- mano-Germanici in Liuoniam iure herausgegeben, in welchem Tractat der Verluſt des roͤmiſchen Reichs in Abſicht ſeiner Anſpruͤche auf Liefland zwar erwieſen, dabey aber ein altes landesherrliches Recht des Kaiſers von ihm, wie von andern Publici- ſten, voraus geſetzet worden. Er fuͤhret den Beweis davon aus unterſchiedlichen Gruͤn- F f f f
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Erzbiſch. Wilhelm. zur Zeit der Regierung Gotthard Kettlers.
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x) aber dieſes niemand ſagen wird; ſo wird es wol bey dem Sprichwort der Publiciſten
bleiben: Schutz und Schirm giebt keine Obrigkeit; welcher Ausdruck nichts an-
ders zu verſtehen giebt, als daß die Schutznehmung andrer einen nicht gleich zum Lan-
desherrn, oder die Beſchuͤtzten zu Unterthanen deſſelben mache. Das Schutzamt
machte dem Papſt ſo wol als dem Kaiſer eine unzehlbare Menge Schutzverwandte in
allen chriſtlichen Reichen der Welt, keinesweges aber Vaſallen und Unterthanen.
4. Aus dem deutſchen Staatsrechte. Vermoͤge deſſelben konte keine Provinz dem
Reiche zugeſchlagen werden, welche ein Staat des Reichs auf eigne Koſten auſſerhalb
Deutſchland eroberte. Die erſten Bezwinger von Liefland empfiengen vom Reich
keinen Kreutzer, ſondern uͤbertrugen nur dem Kaiſer das Land zur Beſchirmung, deſſen
Schutzamt uͤber die geiſtlichen Guͤter auſſer dem deutſchen Rechte auch in den paͤpſtli-
chen und roͤmiſchen Geſetzen gegruͤndet war.
5. Aus der Natur der geiſtlichen Guͤter ſelbſt. Weder der Kaiſer noch das Reich
genoſſen den geringſten Nutzen davon, indem Liefland, als eine Provinz eines geiſtli-
chen Ordens von allen Steuren, Abgaben und Contingenten frey blieb, der Kaiſer
auch uͤber die Abgaben der Tempelherren, weil ſie geiſtliche Guͤter beſaſſen, nichts ver-
anſtalten konte. Daher auch weder der Kaiſer noch das Reich ihre Truppen in Lief-
land zum Schutz fertig hielten, welcher Schutz gewis eine eigene Armee erfordert haͤtte.
Der Erzbiſchof Friedrich uͤberlies im 13 Jahrh. ſein Stift dem Koͤnig von Daͤnnemark
zur Beſchuͤtzung, dabey an das ſaluum Romani Imperii directum dominium nicht ge-
dacht worden.
6. Aus der Gleichguͤltigkeit des Kaiſers gegen die lieflaͤndiſche Unterwerfung un-
ter Pohlen. Weder das Reich noch der Kaiſer wuͤrden dieſer Unterwerfung ſo ge-
laſſen zugeſehen haben, wenn ſie ihre Unterthanen, nicht aber Schutzgenoſſen betroffen
haͤtte. Jn der ganzen Hiſtorie komt kein Beiſpiel vor, da der Kaiſer oder das Reich
ſich ein ſo wichtiges eigenes Land ohne Schwerdtſchlag und Proteſtation entziehen laſſen.
Niemand proteſtirte wider die Veraͤuſſerung der Biſtuͤmer Oeſel und Curland.
Niemand hat ſich deswegen mit Daͤnnemark uͤberworſen. Die Schweden blieben
wegen Eſtland ſo wol unangefochten, als die Pohlen wegen Liefland. Den Lief-
laͤndern ſelbſt iſt vom Reiche kein Vorwurf des Abfals und der Untreue gemacht wor-
den. Der Kaiſer dachte bey Schweden in 90, bey Pohlen und Daͤnnemark
aber in 100 Jahren nicht an Liefland. Was beim ſtetinſchen Friedensſchluſſe 1570
wegen Zuruͤckgebung der Stadt Revel erinnert wurde, war unerheblich. Was
Franciſcus Jrenicus von vielfaͤltigen Proteſtationen wider die lieflaͤndiſche Zer-
gliederung im 17ten Seculo ſchreibet, iſt ohne Beweis angefuͤhret. Wenigſtens mach-
te der Kaiſer Leopold auf dem oliviſchen Frieden noch keine Anſpruͤche auf Liefland.
Solte aber wol ein ſo groſſer Monarch ſeiner Rechte und Anſpruͤche ſo unwiſſend ſeyn,
oder wenn er ſie gewuſt, ſo ſaumſelig, dieſelben aufrecht und guͤltig zu erhalten?
7. Aus des Kanzlers Goldaſts Zeugnis. Liefland ſtraͤubte ſich auf dem Reichs-
tage zu Trier 1512 eben ſo wie Boͤhmen und Preuſſen, als man dieſe Laͤnder einem
deutſchen Kreiſe zuſchlagen wolte, damit es nicht den Schein einer Unterwerfung ha-
ben moͤchte. Der Papſt litte auch nicht, daß der Kaiſer dem Herrn Meiſter gegen die
Stadt Riga Vorſchub that, ſondern that den Herrn Meiſter in den Ban und ſetzte
ihn den 13ten December 1481 ab, verbot auch den Preuſſen, ihm keine Huͤlfe zu lei-
ſten, den 14ten Julii 1482. War nun der Kaiſer nach catholiſchen Lehrſaͤtzen das Schutz-
haupt aller geiſtlichen Geſelſchaften; ſo war es auch der Papſt. Beide gaben ſich mit
politiſchen Haͤndeln ab. Der Papſt belehnte den Orden, der Kaiſer auch, zum deut-
lichen Beweis, daß der Kaiſer uͤber das alte Liefland nichts mehr als der Papſt zu
ſagen hatte. Kurz, ſie waren beide Schutzherren.
Es lieſſen ſich fuͤr die Ununterwuͤrfigkeit von Liefland unter das Reich noch viel andre
Gruͤnde anbringen, als: daß die freiherrliche Familie von Ungern ſich einen beſondern
kaiſerlichen Schutzbrief ausgewirket, daß der Kaiſer Liefland nie in ſeinem Titel ge-
fuͤhret, daß ihm von den Lieflaͤndern nie gehuldiget worden, daß von Seiten des
Reichs nie ein Soldat im Lande gelegen, daß die alten und neuen Erdbeſchreiber die
Weichſel als die Grenze von Deutſchland anſetzen; wenn dieſe Beweistuͤmer einer
Ausfuͤhrung noͤthig haͤtten.
Der beruͤhmte Doctor der Rechten und Profeſſor zu Strasburg, Herr Johan
Heinrich Boecler hat 1711 in 4. eine Diatribam de acquiſito et amiſſo Imperii Ro-
mano-Germanici in Liuoniam iure herausgegeben, in welchem Tractat der Verluſt
des roͤmiſchen Reichs in Abſicht ſeiner Anſpruͤche auf Liefland zwar erwieſen, dabey
aber ein altes landesherrliches Recht des Kaiſers von ihm, wie von andern Publici-
ſten, voraus geſetzet worden. Er fuͤhret den Beweis davon aus unterſchiedlichen
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