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[Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Andrer Theil. Halle (Saale), 1753.

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Erzbisch. Wilhelm. zur Zeit der Regierung Gotthard Kettlers.

Die Stände des Herzogtums Estland giengen allerdings mit schwerem1561
Herzen daran, sich von ihrem lieben Ordensmeister loszureissen. Sie bemerkten
aber bey ihren Mitbrüdern in Liefland selbst kein gros Vertrauen zu den Poh-
len,
überdem waren sie der weiten Entfernung halber besorgt, daß die pohlni-
sche
Hülfe zu spät kommen möchte, noch vielweniger konten sie die Vortheile der
Kaufmanschaft hoffen, welche Riga gänzlich an sich gezogen. Die Nation war
ihnen fremder, hatte andere Sitten und Sprache, und was das Vornehmste
war, eine verschiedene Religion, und ihre Soldaten waren zu übermüthig.
Von Dännemark waren sie abgewiesen, und der Herzog Magnus kam mit
seinen schwachen Vorstellungen zu spät. Schweden hatte nicht nur einerley
Religion, sondern war ihnen auch zum Beistande im Kriege, und zur Handlung
überaus wohl gelegen i). Da nun die Ritterschaft von der Stadt nicht abtreten,
sondern mit ihr gleiches Schicksal erwarten wolte; so fertigte jene Reinholden
von Lode *), diese aber den Rathsherrn Johan Winter an den Herrn Mei-

ster
i) Alle die Ursachen, aus welchen die Stadt Revel sich der Krone Schweden unter-
warf, kamen Kettlern unzureichend vor. Er säumte also nicht den Estländern
diese Unterwerfung mit vielen Vorstellungen zu widerrathen, rückte ihnen anch in ei-
nem Schreiben aus Lode diese Spaltung empfindlich vor, auf welches aber die Stadt
nothdürftig antwortete. Kettler wagte es noch 1563 den 26sten October, der Stadt
einen heftigen Strafbrief aus seinem Feldlager bey Pernaw zu überschicken, daß auch
der Stadtsecretair nach Durchlesung desselben auf die Urschrift die 3 Worte schrieb:
Herbe, bitter und scharf, welches Original in dem schwedischen Archiv verwah-
ret wird. Der Herzog nennet den Jnhalt der Antwort unverschämt, und stellet vor,
es werde diese ungeziemte Aufführung der ganzen deutschen und andern Nationen be-
kant werden, die es aber noch zur Zeit ihrer Jugend nicht wissen könten, würden es
künstig aus den Chroniken und Geschichtbüchern erfahren. Er klaget, daß die Re-
velschen
härter als seine Feinde die Russen verfahren, da diese ihm nur sein Land, je-
ne aber die Ehre genommen. Man habe durch allerley tückische Griffe die Sache vor
ihm heimlich gehalten, und der unverschämte Schreiber habe ihn noch letztlich in Mi-
tau
zugeredet, daß er sich im geringsten nichts von Schweden einbilden möchte, wie
denn auch andre ihren Gesandten versichert, daß ob ihnen gleich beschwerlich fiele,
pohlnisch zu seyn, sie doch noch viel weniger schwedisch werden würden. Er prophe-
zeiet ihnen für diesen treulosen Abfal immer mehr Jammer, Herzeleid, Noth und
Drangsale, wil ihnen aber solches nicht wünschen. Die Beschuldigung der Revel-
schen,
als ob die Könige von Pohlen und Dännemark und Kettler sich wieder die
Estländer mit den Russen und Tartern verbunden, nennet er eine hohe Beschimpfung,
und sagt, er habe zwar tartarische und reußische Kriegesleute bey sich, aber nicht
als Bundesgenossen, sondern als Kriegesknechte und Unterthanen; allein er könne ja
auch fremde vor Geld bekommen. Der von Schweden, fähret Kettler fort, habe
als ein fremder aufgenöthigter König nicht den geringsten Anspruch und Befugnis auf
Liefland; indessen möchten sie mit ihm wohl fahren, die Zeit und der Ausgang wür-
den alles geben. Allein es blieb einmal dabey. Estland versprach sich nach damali-
gen Umständen von Schweden weit ansehnlichere Vortheile, als es von Pohlen nim-
mermehr erhalten konte.
*) Dieser Reinhold von Lode war Hauptman der estländischen Ritterschaft und Erbherr auf
Rocht, und muste Amts halben diesen halsbrechenden Gang zum Herrmeister wagen, weil keiner
von der Ritterschaft eine so gefährliche Verrichtung übernehmen wollen. Henning meldet uns das
Formular der Aufkündigung: Es könte und möchte nun nicht anders seyn, seine fürstliche
Gnaden solten sich darum nicht irren.
Ob nun gleich der Herrmeister dieses zu verbeissen
wuste; so bemerket doch der Herr Manrichter Lode in seiner Handschrift, daß Kettler als Her-
zog es noch dessen Erben nicht vergeben können. Denn als die Russen nachher ganz Estland
wegnahmen und dem König von Schweden nur Revel nebst etlichen um die Stadt belegenen
Höfen nachliessen, so musten diese lodischen Erben auch ihre Güter missen, und flüchtig werden.
Sie wandten sich nach Curland, wo sie bey ihren Blutsfreunden und alten Bekanten das Un-
gewitter des Krieges abwarten wolten. Allein der Herzog Kettler trieb sie da weg, und lies
ihnen wissen, daß es um ihres Vaters willen geschehe. Dieser Umstand ist in der general Re-
vision von Estland 1586 aufgenommen, da man den Erben die Güter ihres Vaters wieder zuge-
sprochen.
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Erzbiſch. Wilhelm. zur Zeit der Regierung Gotthard Kettlers.

Die Staͤnde des Herzogtums Eſtland giengen allerdings mit ſchwerem1561
Herzen daran, ſich von ihrem lieben Ordensmeiſter loszureiſſen. Sie bemerkten
aber bey ihren Mitbruͤdern in Liefland ſelbſt kein gros Vertrauen zu den Poh-
len,
uͤberdem waren ſie der weiten Entfernung halber beſorgt, daß die pohlni-
ſche
Huͤlfe zu ſpaͤt kommen moͤchte, noch vielweniger konten ſie die Vortheile der
Kaufmanſchaft hoffen, welche Riga gaͤnzlich an ſich gezogen. Die Nation war
ihnen fremder, hatte andere Sitten und Sprache, und was das Vornehmſte
war, eine verſchiedene Religion, und ihre Soldaten waren zu uͤbermuͤthig.
Von Daͤnnemark waren ſie abgewieſen, und der Herzog Magnus kam mit
ſeinen ſchwachen Vorſtellungen zu ſpaͤt. Schweden hatte nicht nur einerley
Religion, ſondern war ihnen auch zum Beiſtande im Kriege, und zur Handlung
uͤberaus wohl gelegen i). Da nun die Ritterſchaft von der Stadt nicht abtreten,
ſondern mit ihr gleiches Schickſal erwarten wolte; ſo fertigte jene Reinholden
von Lode *), dieſe aber den Rathsherrn Johan Winter an den Herrn Mei-

ſter
i) Alle die Urſachen, aus welchen die Stadt Revel ſich der Krone Schweden unter-
warf, kamen Kettlern unzureichend vor. Er ſaͤumte alſo nicht den Eſtlaͤndern
dieſe Unterwerfung mit vielen Vorſtellungen zu widerrathen, ruͤckte ihnen anch in ei-
nem Schreiben aus Lode dieſe Spaltung empfindlich vor, auf welches aber die Stadt
nothduͤrftig antwortete. Kettler wagte es noch 1563 den 26ſten October, der Stadt
einen heftigen Strafbrief aus ſeinem Feldlager bey Pernaw zu uͤberſchicken, daß auch
der Stadtſecretair nach Durchleſung deſſelben auf die Urſchrift die 3 Worte ſchrieb:
Herbe, bitter und ſcharf, welches Original in dem ſchwediſchen Archiv verwah-
ret wird. Der Herzog nennet den Jnhalt der Antwort unverſchaͤmt, und ſtellet vor,
es werde dieſe ungeziemte Auffuͤhrung der ganzen deutſchen und andern Nationen be-
kant werden, die es aber noch zur Zeit ihrer Jugend nicht wiſſen koͤnten, wuͤrden es
kuͤnſtig aus den Chroniken und Geſchichtbuͤchern erfahren. Er klaget, daß die Re-
velſchen
haͤrter als ſeine Feinde die Ruſſen verfahren, da dieſe ihm nur ſein Land, je-
ne aber die Ehre genommen. Man habe durch allerley tuͤckiſche Griffe die Sache vor
ihm heimlich gehalten, und der unverſchaͤmte Schreiber habe ihn noch letztlich in Mi-
tau
zugeredet, daß er ſich im geringſten nichts von Schweden einbilden moͤchte, wie
denn auch andre ihren Geſandten verſichert, daß ob ihnen gleich beſchwerlich fiele,
pohlniſch zu ſeyn, ſie doch noch viel weniger ſchwediſch werden wuͤrden. Er prophe-
zeiet ihnen fuͤr dieſen treuloſen Abfal immer mehr Jammer, Herzeleid, Noth und
Drangſale, wil ihnen aber ſolches nicht wuͤnſchen. Die Beſchuldigung der Revel-
ſchen,
als ob die Koͤnige von Pohlen und Daͤnnemark und Kettler ſich wieder die
Eſtlaͤnder mit den Ruſſen und Tartern verbunden, nennet er eine hohe Beſchimpfung,
und ſagt, er habe zwar tartariſche und reußiſche Kriegesleute bey ſich, aber nicht
als Bundesgenoſſen, ſondern als Kriegesknechte und Unterthanen; allein er koͤnne ja
auch fremde vor Geld bekommen. Der von Schweden, faͤhret Kettler fort, habe
als ein fremder aufgenoͤthigter Koͤnig nicht den geringſten Anſpruch und Befugnis auf
Liefland; indeſſen moͤchten ſie mit ihm wohl fahren, die Zeit und der Ausgang wuͤr-
den alles geben. Allein es blieb einmal dabey. Eſtland verſprach ſich nach damali-
gen Umſtaͤnden von Schweden weit anſehnlichere Vortheile, als es von Pohlen nim-
mermehr erhalten konte.
*) Dieſer Reinhold von Lode war Hauptman der eſtlaͤndiſchen Ritterſchaft und Erbherr auf
Rocht, und muſte Amts halben dieſen halsbrechenden Gang zum Herrmeiſter wagen, weil keiner
von der Ritterſchaft eine ſo gefaͤhrliche Verrichtung uͤbernehmen wollen. Henning meldet uns das
Formular der Aufkuͤndigung: Es koͤnte und moͤchte nun nicht anders ſeyn, ſeine fuͤrſtliche
Gnaden ſolten ſich darum nicht irren.
Ob nun gleich der Herrmeiſter dieſes zu verbeiſſen
wuſte; ſo bemerket doch der Herr Manrichter Lode in ſeiner Handſchrift, daß Kettler als Her-
zog es noch deſſen Erben nicht vergeben koͤnnen. Denn als die Ruſſen nachher ganz Eſtland
wegnahmen und dem Koͤnig von Schweden nur Revel nebſt etlichen um die Stadt belegenen
Hoͤfen nachlieſſen, ſo muſten dieſe lodiſchen Erben auch ihre Guͤter miſſen, und fluͤchtig werden.
Sie wandten ſich nach Curland, wo ſie bey ihren Blutsfreunden und alten Bekanten das Un-
gewitter des Krieges abwarten wolten. Allein der Herzog Kettler trieb ſie da weg, und lies
ihnen wiſſen, daß es um ihres Vaters willen geſchehe. Dieſer Umſtand iſt in der general Re-
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[261/0279] Erzbiſch. Wilhelm. zur Zeit der Regierung Gotthard Kettlers. Die Staͤnde des Herzogtums Eſtland giengen allerdings mit ſchwerem Herzen daran, ſich von ihrem lieben Ordensmeiſter loszureiſſen. Sie bemerkten aber bey ihren Mitbruͤdern in Liefland ſelbſt kein gros Vertrauen zu den Poh- len, uͤberdem waren ſie der weiten Entfernung halber beſorgt, daß die pohlni- ſche Huͤlfe zu ſpaͤt kommen moͤchte, noch vielweniger konten ſie die Vortheile der Kaufmanſchaft hoffen, welche Riga gaͤnzlich an ſich gezogen. Die Nation war ihnen fremder, hatte andere Sitten und Sprache, und was das Vornehmſte war, eine verſchiedene Religion, und ihre Soldaten waren zu uͤbermuͤthig. Von Daͤnnemark waren ſie abgewieſen, und der Herzog Magnus kam mit ſeinen ſchwachen Vorſtellungen zu ſpaͤt. Schweden hatte nicht nur einerley Religion, ſondern war ihnen auch zum Beiſtande im Kriege, und zur Handlung uͤberaus wohl gelegen i). Da nun die Ritterſchaft von der Stadt nicht abtreten, ſondern mit ihr gleiches Schickſal erwarten wolte; ſo fertigte jene Reinholden von Lode *), dieſe aber den Rathsherrn Johan Winter an den Herrn Mei- ſter 1561 i) Alle die Urſachen, aus welchen die Stadt Revel ſich der Krone Schweden unter- warf, kamen Kettlern unzureichend vor. Er ſaͤumte alſo nicht den Eſtlaͤndern dieſe Unterwerfung mit vielen Vorſtellungen zu widerrathen, ruͤckte ihnen anch in ei- nem Schreiben aus Lode dieſe Spaltung empfindlich vor, auf welches aber die Stadt nothduͤrftig antwortete. Kettler wagte es noch 1563 den 26ſten October, der Stadt einen heftigen Strafbrief aus ſeinem Feldlager bey Pernaw zu uͤberſchicken, daß auch der Stadtſecretair nach Durchleſung deſſelben auf die Urſchrift die 3 Worte ſchrieb: Herbe, bitter und ſcharf, welches Original in dem ſchwediſchen Archiv verwah- ret wird. Der Herzog nennet den Jnhalt der Antwort unverſchaͤmt, und ſtellet vor, es werde dieſe ungeziemte Auffuͤhrung der ganzen deutſchen und andern Nationen be- kant werden, die es aber noch zur Zeit ihrer Jugend nicht wiſſen koͤnten, wuͤrden es kuͤnſtig aus den Chroniken und Geſchichtbuͤchern erfahren. Er klaget, daß die Re- velſchen haͤrter als ſeine Feinde die Ruſſen verfahren, da dieſe ihm nur ſein Land, je- ne aber die Ehre genommen. Man habe durch allerley tuͤckiſche Griffe die Sache vor ihm heimlich gehalten, und der unverſchaͤmte Schreiber habe ihn noch letztlich in Mi- tau zugeredet, daß er ſich im geringſten nichts von Schweden einbilden moͤchte, wie denn auch andre ihren Geſandten verſichert, daß ob ihnen gleich beſchwerlich fiele, pohlniſch zu ſeyn, ſie doch noch viel weniger ſchwediſch werden wuͤrden. Er prophe- zeiet ihnen fuͤr dieſen treuloſen Abfal immer mehr Jammer, Herzeleid, Noth und Drangſale, wil ihnen aber ſolches nicht wuͤnſchen. Die Beſchuldigung der Revel- ſchen, als ob die Koͤnige von Pohlen und Daͤnnemark und Kettler ſich wieder die Eſtlaͤnder mit den Ruſſen und Tartern verbunden, nennet er eine hohe Beſchimpfung, und ſagt, er habe zwar tartariſche und reußiſche Kriegesleute bey ſich, aber nicht als Bundesgenoſſen, ſondern als Kriegesknechte und Unterthanen; allein er koͤnne ja auch fremde vor Geld bekommen. Der von Schweden, faͤhret Kettler fort, habe als ein fremder aufgenoͤthigter Koͤnig nicht den geringſten Anſpruch und Befugnis auf Liefland; indeſſen moͤchten ſie mit ihm wohl fahren, die Zeit und der Ausgang wuͤr- den alles geben. Allein es blieb einmal dabey. Eſtland verſprach ſich nach damali- gen Umſtaͤnden von Schweden weit anſehnlichere Vortheile, als es von Pohlen nim- mermehr erhalten konte. *) Dieſer Reinhold von Lode war Hauptman der eſtlaͤndiſchen Ritterſchaft und Erbherr auf Rocht, und muſte Amts halben dieſen halsbrechenden Gang zum Herrmeiſter wagen, weil keiner von der Ritterſchaft eine ſo gefaͤhrliche Verrichtung uͤbernehmen wollen. Henning meldet uns das Formular der Aufkuͤndigung: Es koͤnte und moͤchte nun nicht anders ſeyn, ſeine fuͤrſtliche Gnaden ſolten ſich darum nicht irren. Ob nun gleich der Herrmeiſter dieſes zu verbeiſſen wuſte; ſo bemerket doch der Herr Manrichter Lode in ſeiner Handſchrift, daß Kettler als Her- zog es noch deſſen Erben nicht vergeben koͤnnen. Denn als die Ruſſen nachher ganz Eſtland wegnahmen und dem Koͤnig von Schweden nur Revel nebſt etlichen um die Stadt belegenen Hoͤfen nachlieſſen, ſo muſten dieſe lodiſchen Erben auch ihre Guͤter miſſen, und fluͤchtig werden. Sie wandten ſich nach Curland, wo ſie bey ihren Blutsfreunden und alten Bekanten das Un- gewitter des Krieges abwarten wolten. Allein der Herzog Kettler trieb ſie da weg, und lies ihnen wiſſen, daß es um ihres Vaters willen geſchehe. Dieſer Umſtand iſt in der general Re- viſion von Eſtland 1586 aufgenommen, da man den Erben die Guͤter ihres Vaters wieder zuge- ſprochen. U u u

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Zitationshilfe: [Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Andrer Theil. Halle (Saale), 1753, S. 261. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lettus_chronik02_1753/279>, abgerufen am 23.11.2024.