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[Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Andrer Theil. Halle (Saale), 1753.

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Leben und Thaten der liefländischen Ordensmeister,
1558

Nachdem sich Dörpt am 19ten Jul. ergeben hatte, fertigte Zuski Bevol-
mächtigte ab, die die Stadt Revel zur Uebergabe auffordern und ihr die schön-
sten Bedingungen anbieten solten. Die Stadt aber, die sich auf weit festere und
von der Natur verstärkte Werke verlassen konte, dergleichen Dörpt nicht hatte,
ertheilte 2 Meilen von Revel in des Raths Hofe den rußischen Unterhändlern
die kurze Antwort, daß sie als eine herrmeisterliche Stadt zum Capituliren keine
Erlaubnis habe.

Da der Orden in Liefland wegen der Uebergabe kleinerer Plätze schon so
viel Aufhebens machte, so ist leicht zu begreifen, warum dieses ein wenig befestigte
Dörpt, das man mit Gewalt für eine Vormauer des Landes ausgab, bey sei-
ner Ergebung noch viel mehr Reden und Verwirrung verursachte. Man nante
die Einwohner desselben reiche und bemittelte Leute, die ihr Vermögen zur Ret-
tung des ganzen Landes hätten anwenden sollen. Man schätzte die Baarschaft an-
sehnlicher Stiftsräthe, denen man Geitz und Eigennutz vorwarf. Die Aermern
beschuldigte man der Schwelgerey und des Durchbringens. Man redete von
Verräthern, man spottete der Unglücklichen, und verfuhr nicht anders, als ob
die Rechnung schon richtig wäre, daß ein jeder Dörptischer wol 100 Russen
auf sich nehmen könte.

Das erste Gericht hielt man über die aus Moskau zurückgekommenen Gel-
der, die zu Riga in der Masselstrasse in dem Hause des Herrn Joh. Uxküls
von Mentzen niedergeleget waren, wovon denen Dörptern wenig wieder in die
Hände kam. Man sahe sie als Gelder an, welche nun rußisch wären, und die
man daher nicht zurückgeben dürfte. Selbst diejenigen Gelder, welche die aus
Dörpt wegziehenden Einwohner aus Verkaufung ihres Geräthes gelöset, wur-
den für feindlich erkläret, und diesen flüchtigen Leuten auf dem Wege nach Re-
vel
durch den Gebietiger Wilhelm Wifferling abgenommen.

Der Ordensmeister Fürstenberg, bey welchem der gegen den Bischof ge-
faste Argwohn bey diesem Verlust gleichsam von neuem aufwachte, ruhete nicht
eher, bis er die vermuthete Verrätherey entdecket hatte. Man nahm den bischöfli-
chen Bedienten Christoph Lustvern in Verhaft, und brachte ihn nach Wenden
in den Peinthurm. Dieser der Tortur ungewohnte Höfling that eine ziemlich un-
ordentliche Aussage, und muste sie nach empfangenem Abendmahl den 25sten Jul.
in Gegenwart des römisch-kaiserlichen Notarii Thomas Tarnow in der
hauscomturlichen Kammer Vormittages um 8 Uhr gütlich bekräftigen, worüber
der Ordenssecretarius Bastian Dittmarschen das Protocol führete. Die
Aussage des Weinschenken in Wenden, Reinhold Fackens, hieng nicht ordentli-
cher zusammen; gleichwol machte des erstern Bekentnis, daß man den ehrlichen
Kanzler Georg Holtschuher in Hapsal einzog, dessen Aussage man wieder
so drehete, als ob der Bischof mit Fleis und Vorsatz die Russen ins Land einge-
locket, und ihnen die Festungen in die Hände gespielet habe. Dis Verfahren
machte den übrigen dörptischen Kapitelsherren geschwinde Füsse nach ihrem Va-
terlande, damit sie nicht auch das Unglück hätten, unschuldiger weise mit in die
Jnquisition über die so genanten Landesverräther zu gerathen. Lustver fiel selbst
über seine Aussage in Verzweifelung und erhieng sich im Gefängnis k).

Hätte
k) Lustver bekante unter der Marter, daß ihn der Bischof mit Briefen nach Moskau
geschickt, wo ihm der rußische Kanzler eröfnet, der Bischof wolle sich unterwerfen,
wenn ihm der Kaiser aller Reussen bey seiner Religion und Freiheiten lassen wolte.
Lustver flochte den Stiftskanzler Holtschuher mit in den Handel, als ob der Bischof
mit diesem alles verabredet. Holtschuher, sagte er, habe ihn vor den Bischof gefüh-
ret, alsdenn habe ihm der Bischof 55 Thlr. und 45 Mark Ferdinge zum Reisegelde ge-
zahlet, 40 Thlr. nachgeschicket, ihm die Hand drauf gegeben, daß er ihn wegen der
Reise gegen allen Ankläger schützen wolte, mit den angehengten Worten: Jch wil dich
zum Manne machen. Er führte auch die Worte an, welche sich der Bischof sol ha-
ben verlauten lassen, daß der Czaar Gewalt brauchen, und die dörptischen Deutschen
mit
Leben und Thaten der lieflaͤndiſchen Ordensmeiſter,
1558

Nachdem ſich Doͤrpt am 19ten Jul. ergeben hatte, fertigte Zuski Bevol-
maͤchtigte ab, die die Stadt Revel zur Uebergabe auffordern und ihr die ſchoͤn-
ſten Bedingungen anbieten ſolten. Die Stadt aber, die ſich auf weit feſtere und
von der Natur verſtaͤrkte Werke verlaſſen konte, dergleichen Doͤrpt nicht hatte,
ertheilte 2 Meilen von Revel in des Raths Hofe den rußiſchen Unterhaͤndlern
die kurze Antwort, daß ſie als eine herrmeiſterliche Stadt zum Capituliren keine
Erlaubnis habe.

Da der Orden in Liefland wegen der Uebergabe kleinerer Plaͤtze ſchon ſo
viel Aufhebens machte, ſo iſt leicht zu begreifen, warum dieſes ein wenig befeſtigte
Doͤrpt, das man mit Gewalt fuͤr eine Vormauer des Landes ausgab, bey ſei-
ner Ergebung noch viel mehr Reden und Verwirrung verurſachte. Man nante
die Einwohner deſſelben reiche und bemittelte Leute, die ihr Vermoͤgen zur Ret-
tung des ganzen Landes haͤtten anwenden ſollen. Man ſchaͤtzte die Baarſchaft an-
ſehnlicher Stiftsraͤthe, denen man Geitz und Eigennutz vorwarf. Die Aermern
beſchuldigte man der Schwelgerey und des Durchbringens. Man redete von
Verraͤthern, man ſpottete der Ungluͤcklichen, und verfuhr nicht anders, als ob
die Rechnung ſchon richtig waͤre, daß ein jeder Doͤrptiſcher wol 100 Ruſſen
auf ſich nehmen koͤnte.

Das erſte Gericht hielt man uͤber die aus Moskau zuruͤckgekommenen Gel-
der, die zu Riga in der Maſſelſtraſſe in dem Hauſe des Herrn Joh. Uxkuͤls
von Mentzen niedergeleget waren, wovon denen Doͤrptern wenig wieder in die
Haͤnde kam. Man ſahe ſie als Gelder an, welche nun rußiſch waͤren, und die
man daher nicht zuruͤckgeben duͤrfte. Selbſt diejenigen Gelder, welche die aus
Doͤrpt wegziehenden Einwohner aus Verkaufung ihres Geraͤthes geloͤſet, wur-
den fuͤr feindlich erklaͤret, und dieſen fluͤchtigen Leuten auf dem Wege nach Re-
vel
durch den Gebietiger Wilhelm Wifferling abgenommen.

Der Ordensmeiſter Fuͤrſtenberg, bey welchem der gegen den Biſchof ge-
faſte Argwohn bey dieſem Verluſt gleichſam von neuem aufwachte, ruhete nicht
eher, bis er die vermuthete Verraͤtherey entdecket hatte. Man nahm den biſchoͤfli-
chen Bedienten Chriſtoph Luſtvern in Verhaft, und brachte ihn nach Wenden
in den Peinthurm. Dieſer der Tortur ungewohnte Hoͤfling that eine ziemlich un-
ordentliche Auſſage, und muſte ſie nach empfangenem Abendmahl den 25ſten Jul.
in Gegenwart des roͤmiſch-kaiſerlichen Notarii Thomas Tarnow in der
hauscomturlichen Kammer Vormittages um 8 Uhr guͤtlich bekraͤftigen, woruͤber
der Ordensſecretarius Baſtian Dittmarſchen das Protocol fuͤhrete. Die
Auſſage des Weinſchenken in Wenden, Reinhold Fackens, hieng nicht ordentli-
cher zuſammen; gleichwol machte des erſtern Bekentnis, daß man den ehrlichen
Kanzler Georg Holtſchuher in Hapſal einzog, deſſen Auſſage man wieder
ſo drehete, als ob der Biſchof mit Fleis und Vorſatz die Ruſſen ins Land einge-
locket, und ihnen die Feſtungen in die Haͤnde geſpielet habe. Dis Verfahren
machte den uͤbrigen doͤrptiſchen Kapitelsherren geſchwinde Fuͤſſe nach ihrem Va-
terlande, damit ſie nicht auch das Ungluͤck haͤtten, unſchuldiger weiſe mit in die
Jnquiſition uͤber die ſo genanten Landesverraͤther zu gerathen. Luſtver fiel ſelbſt
uͤber ſeine Ausſage in Verzweifelung und erhieng ſich im Gefaͤngnis k).

Haͤtte
k) Luſtver bekante unter der Marter, daß ihn der Biſchof mit Briefen nach Moskau
geſchickt, wo ihm der rußiſche Kanzler eroͤfnet, der Biſchof wolle ſich unterwerfen,
wenn ihm der Kaiſer aller Reuſſen bey ſeiner Religion und Freiheiten laſſen wolte.
Luſtver flochte den Stiftskanzler Holtſchuher mit in den Handel, als ob der Biſchof
mit dieſem alles verabredet. Holtſchuher, ſagte er, habe ihn vor den Biſchof gefuͤh-
ret, alsdenn habe ihm der Biſchof 55 Thlr. und 45 Mark Ferdinge zum Reiſegelde ge-
zahlet, 40 Thlr. nachgeſchicket, ihm die Hand drauf gegeben, daß er ihn wegen der
Reiſe gegen allen Anklaͤger ſchuͤtzen wolte, mit den angehengten Worten: Jch wil dich
zum Manne machen. Er fuͤhrte auch die Worte an, welche ſich der Biſchof ſol ha-
ben verlauten laſſen, daß der Czaar Gewalt brauchen, und die doͤrptiſchen Deutſchen
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Zitationshilfe: [Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Andrer Theil. Halle (Saale), 1753, S. 240. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lettus_chronik02_1753/258>, abgerufen am 23.11.2024.