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[Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Andrer Theil. Halle (Saale), 1753.

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Leben und Thaten der liefländischen Ordensmeister,
1545

Donnerstags nach Lätare traten die Stände des Landes aus eigener Bewe-
gung zu Wolmer zusammen, um ihre Gebrechen zu wandeln, und wieder in gute
Ordnung zu bringen, auf welchem Landtage nachstehende Artikel beliebet und nie-
dergeschrieben wurden. Weil das Land durch überflüßige Beköstigung, Kindel-
biere, seidene Kleidung, Begiftigung und andre Unkosten in Theurung und Ver-
derb gesetzet wird, so sol jeder von Adel in ganz Estland seine Tochter nach seinem
Vermögen berathen. Den unbeerbten Witwen werden auf 400 Mark Mitgabe,
800 Mark Morgengabe, doch in Terminen, zugelegt, und so nach Proportion.
Niemand sol seiner Tochter aufs allerhöchste mehr denn 10 Mark Silbers, wor-
unter das Hauptgeschmeide mit begriffen ist, mit geben. Ein Aermerer giebt we-
niger. Die bestickten und belegten überflüfligen seidenen Röcke samt allen theu-
ren Geschmeiden, Perlen, Silber und Unzengolde werden bey Männern und
Frauen abgeschaffet. Stat der gestickten Kragen mag jeder von Adel seiner Toch-
ter eine güldene oder silberne Kette mit geben. Den Frauen und Jungfrauen
wird an Mützen und Legeperlen, sonderlich den Jungfrauen ein bestickter Perlen-
kragen zu tragen zugelassen. Der Bräutigam giebt seinem Vater, Bruder und
Diener ferner hin nichts denn Hemden mit weissen geneheten Kragen, ohne alle Per-
len oder Gold. Die Frauen in Weichbilden und Pfalzen dürfen sich den Adli-
chen nicht gleich kleiden bey wilkührlicher Strafe. Allen andern unzüchtigen und
mit Warheit berüchtigten Weibespersonen, sonderlich den Meyerinnen ist nicht
nachgelassen, sich den ehrlichen mit Kleidung und Geschmeide gleich zu zieren, oder
auch in löbliche Geselschaften neben her zu treten, sondern sich bey gebührlicher
Strafe ihrem Stande gemäs zu halten. Die Köste des Freytages vor der Köste
ist ganz abgethan. Der Bräutigam wird nicht eher als des Sonnabends im Felde
empfangen, wobey niemand mit Ausrüstung und Kleidung in seiner Farbe be-
schweret werden sol. Der Bräutigam giebt der Braut nicht mehr als ein lieflän-
disch
Paternoster *), eine beschlagene Scheide mit Messer, eine samtene Tasche
mit einem silbernen Ringe, und an 300 Mark am Gelde oder Silber zum Geschenk.
Die Köste sol nicht länger, denn den Sonnabend, Sontag und Montag währen,
und damit ein Ende haben. Wein und Kräuter werden in Brautkammern, Wil-
kommenheiten, Kindelbier, Badstuben und Hausbringungen ganz abgethan, aus-
genommen Sontags und Montags in der Köste, und Sontags in den Kindel-
bieren zur Mittagsmalzeit, doch in ziemlicher und nicht überflüßiger Masse. Auf
Manntagen, Handlungen und Zusammenkünften des Adels sind Wein und
Kräuter völlig zu meiden. Die Witwe, so sich ohne Wissen der Freundschaft
mit einem schlechten Gesellen verehliget, die Ehefrau, die ausser ihren Stande
sich unehrlicher Weise versiehet, sollen aller ihrer fräulichen Gerechtigkeit entbeh-
ren, welche so dann an die nächsten Freunde erblich verfält. Wenn ein wohlge-
borner Knecht eine Jungfrau mit geliebten oder behenden Worten an Ehren
schwächet und zu Fal bringet, sol er sich mit ihr echtigen lassen. Wenn Bauren
sich tod schlagen, wird der Thäter am Halse gericht, und wer dem Thäter beiste-
het, sol auch am Halse brechen. Entführt ein Bauer eine Dirne ohne der Freun-
de Wissen, den richtet man am Hals. Der Bauer, welcher Gewehr bey sich
trägt ohne Zeichen der Herrschaft, verlieret dasselbe. Ledige unbesessene Bauer-
knechte sollen keinen Acker haben, sondern um Lohn sich auf ein Jahr vermiethen,
verlaufen sie, so fallen sie in gebührliche Strafe. Weil die Münchsklöster zur
Unterweisung der Undeutschen, und die Jungfernklöster für adeliche Töchter zur

Erler-
*) Die liefländischen Paternoster waren ein wenig gros, und reichten wol bis auf die Erde. Sie
bestunben aus einer Reihe von mehr als hundert alten Henkelthalern. Auch die Bäurinnen tra-
gen, sonderlich im Dörptischen, solche Pater am Halse. Die Weiber der reichen Letten in und um
Riga schürzen einen maßiv silbernen Gürtel von sauberer Kettenarbeit, woran gewöhnlich ein paar
Schlüssel hängen, bey ihren Solennitäten um sich, welches Stück oft 80 bis 100 Tthlr. kostet,
auch wol stark verguldet, mit schönen Steinen besetzet, und an Silber 4 und mehr Pfund schwer
ist. Das gemeine Bauervolk träget auch dergleichen altäglich, aber nur von meßingenen Ket-
gen, und hat stat der Schlüssel grosse Messer daran hengen. Ein solcher silberner aber künstlich
ausgearbeiteter Gürtel wird von den Esten röhhud, von den Letten joost genennet.
Leben und Thaten der lieflaͤndiſchen Ordensmeiſter,
1545

Donnerſtags nach Laͤtare traten die Staͤnde des Landes aus eigener Bewe-
gung zu Wolmer zuſammen, um ihre Gebrechen zu wandeln, und wieder in gute
Ordnung zu bringen, auf welchem Landtage nachſtehende Artikel beliebet und nie-
dergeſchrieben wurden. Weil das Land durch uͤberfluͤßige Bekoͤſtigung, Kindel-
biere, ſeidene Kleidung, Begiftigung und andre Unkoſten in Theurung und Ver-
derb geſetzet wird, ſo ſol jeder von Adel in ganz Eſtland ſeine Tochter nach ſeinem
Vermoͤgen berathen. Den unbeerbten Witwen werden auf 400 Mark Mitgabe,
800 Mark Morgengabe, doch in Terminen, zugelegt, und ſo nach Proportion.
Niemand ſol ſeiner Tochter aufs allerhoͤchſte mehr denn 10 Mark Silbers, wor-
unter das Hauptgeſchmeide mit begriffen iſt, mit geben. Ein Aermerer giebt we-
niger. Die beſtickten und belegten uͤberfluͤfligen ſeidenen Roͤcke ſamt allen theu-
ren Geſchmeiden, Perlen, Silber und Unzengolde werden bey Maͤnnern und
Frauen abgeſchaffet. Stat der geſtickten Kragen mag jeder von Adel ſeiner Toch-
ter eine guͤldene oder ſilberne Kette mit geben. Den Frauen und Jungfrauen
wird an Muͤtzen und Legeperlen, ſonderlich den Jungfrauen ein beſtickter Perlen-
kragen zu tragen zugelaſſen. Der Braͤutigam giebt ſeinem Vater, Bruder und
Diener ferner hin nichts denn Hemden mit weiſſen geneheten Kragen, ohne alle Per-
len oder Gold. Die Frauen in Weichbilden und Pfalzen duͤrfen ſich den Adli-
chen nicht gleich kleiden bey wilkuͤhrlicher Strafe. Allen andern unzuͤchtigen und
mit Warheit beruͤchtigten Weibesperſonen, ſonderlich den Meyerinnen iſt nicht
nachgelaſſen, ſich den ehrlichen mit Kleidung und Geſchmeide gleich zu zieren, oder
auch in loͤbliche Geſelſchaften neben her zu treten, ſondern ſich bey gebuͤhrlicher
Strafe ihrem Stande gemaͤs zu halten. Die Koͤſte des Freytages vor der Koͤſte
iſt ganz abgethan. Der Braͤutigam wird nicht eher als des Sonnabends im Felde
empfangen, wobey niemand mit Ausruͤſtung und Kleidung in ſeiner Farbe be-
ſchweret werden ſol. Der Braͤutigam giebt der Braut nicht mehr als ein lieflaͤn-
diſch
Paternoſter *), eine beſchlagene Scheide mit Meſſer, eine ſamtene Taſche
mit einem ſilbernen Ringe, und an 300 Mark am Gelde oder Silber zum Geſchenk.
Die Koͤſte ſol nicht laͤnger, denn den Sonnabend, Sontag und Montag waͤhren,
und damit ein Ende haben. Wein und Kraͤuter werden in Brautkammern, Wil-
kommenheiten, Kindelbier, Badſtuben und Hausbringungen ganz abgethan, aus-
genommen Sontags und Montags in der Koͤſte, und Sontags in den Kindel-
bieren zur Mittagsmalzeit, doch in ziemlicher und nicht uͤberfluͤßiger Maſſe. Auf
Manntagen, Handlungen und Zuſammenkuͤnften des Adels ſind Wein und
Kraͤuter voͤllig zu meiden. Die Witwe, ſo ſich ohne Wiſſen der Freundſchaft
mit einem ſchlechten Geſellen verehliget, die Ehefrau, die auſſer ihren Stande
ſich unehrlicher Weiſe verſiehet, ſollen aller ihrer fraͤulichen Gerechtigkeit entbeh-
ren, welche ſo dann an die naͤchſten Freunde erblich verfaͤlt. Wenn ein wohlge-
borner Knecht eine Jungfrau mit geliebten oder behenden Worten an Ehren
ſchwaͤchet und zu Fal bringet, ſol er ſich mit ihr echtigen laſſen. Wenn Bauren
ſich tod ſchlagen, wird der Thaͤter am Halſe gericht, und wer dem Thaͤter beiſte-
het, ſol auch am Halſe brechen. Entfuͤhrt ein Bauer eine Dirne ohne der Freun-
de Wiſſen, den richtet man am Hals. Der Bauer, welcher Gewehr bey ſich
traͤgt ohne Zeichen der Herrſchaft, verlieret daſſelbe. Ledige unbeſeſſene Bauer-
knechte ſollen keinen Acker haben, ſondern um Lohn ſich auf ein Jahr vermiethen,
verlaufen ſie, ſo fallen ſie in gebuͤhrliche Strafe. Weil die Muͤnchskloͤſter zur
Unterweiſung der Undeutſchen, und die Jungfernkloͤſter fuͤr adeliche Toͤchter zur

Erler-
*) Die lieflaͤndiſchen Paternoſter waren ein wenig gros, und reichten wol bis auf die Erde. Sie
beſtunben aus einer Reihe von mehr als hundert alten Henkelthalern. Auch die Baͤurinnen tra-
gen, ſonderlich im Doͤrptiſchen, ſolche Pater am Halſe. Die Weiber der reichen Letten in und um
Riga ſchuͤrzen einen maßiv ſilbernen Guͤrtel von ſauberer Kettenarbeit, woran gewoͤhnlich ein paar
Schluͤſſel haͤngen, bey ihren Solennitaͤten um ſich, welches Stuͤck oft 80 bis 100 Tthlr. koſtet,
auch wol ſtark verguldet, mit ſchoͤnen Steinen beſetzet, und an Silber 4 und mehr Pfund ſchwer
iſt. Das gemeine Bauervolk traͤget auch dergleichen altaͤglich, aber nur von meßingenen Ket-
gen, und hat ſtat der Schluͤſſel groſſe Meſſer daran hengen. Ein ſolcher ſilberner aber kuͤnſtlich
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[210/0228] Leben und Thaten der lieflaͤndiſchen Ordensmeiſter, Donnerſtags nach Laͤtare traten die Staͤnde des Landes aus eigener Bewe- gung zu Wolmer zuſammen, um ihre Gebrechen zu wandeln, und wieder in gute Ordnung zu bringen, auf welchem Landtage nachſtehende Artikel beliebet und nie- dergeſchrieben wurden. Weil das Land durch uͤberfluͤßige Bekoͤſtigung, Kindel- biere, ſeidene Kleidung, Begiftigung und andre Unkoſten in Theurung und Ver- derb geſetzet wird, ſo ſol jeder von Adel in ganz Eſtland ſeine Tochter nach ſeinem Vermoͤgen berathen. Den unbeerbten Witwen werden auf 400 Mark Mitgabe, 800 Mark Morgengabe, doch in Terminen, zugelegt, und ſo nach Proportion. Niemand ſol ſeiner Tochter aufs allerhoͤchſte mehr denn 10 Mark Silbers, wor- unter das Hauptgeſchmeide mit begriffen iſt, mit geben. Ein Aermerer giebt we- niger. Die beſtickten und belegten uͤberfluͤfligen ſeidenen Roͤcke ſamt allen theu- ren Geſchmeiden, Perlen, Silber und Unzengolde werden bey Maͤnnern und Frauen abgeſchaffet. Stat der geſtickten Kragen mag jeder von Adel ſeiner Toch- ter eine guͤldene oder ſilberne Kette mit geben. Den Frauen und Jungfrauen wird an Muͤtzen und Legeperlen, ſonderlich den Jungfrauen ein beſtickter Perlen- kragen zu tragen zugelaſſen. Der Braͤutigam giebt ſeinem Vater, Bruder und Diener ferner hin nichts denn Hemden mit weiſſen geneheten Kragen, ohne alle Per- len oder Gold. Die Frauen in Weichbilden und Pfalzen duͤrfen ſich den Adli- chen nicht gleich kleiden bey wilkuͤhrlicher Strafe. Allen andern unzuͤchtigen und mit Warheit beruͤchtigten Weibesperſonen, ſonderlich den Meyerinnen iſt nicht nachgelaſſen, ſich den ehrlichen mit Kleidung und Geſchmeide gleich zu zieren, oder auch in loͤbliche Geſelſchaften neben her zu treten, ſondern ſich bey gebuͤhrlicher Strafe ihrem Stande gemaͤs zu halten. Die Koͤſte des Freytages vor der Koͤſte iſt ganz abgethan. Der Braͤutigam wird nicht eher als des Sonnabends im Felde empfangen, wobey niemand mit Ausruͤſtung und Kleidung in ſeiner Farbe be- ſchweret werden ſol. Der Braͤutigam giebt der Braut nicht mehr als ein lieflaͤn- diſch Paternoſter *), eine beſchlagene Scheide mit Meſſer, eine ſamtene Taſche mit einem ſilbernen Ringe, und an 300 Mark am Gelde oder Silber zum Geſchenk. Die Koͤſte ſol nicht laͤnger, denn den Sonnabend, Sontag und Montag waͤhren, und damit ein Ende haben. Wein und Kraͤuter werden in Brautkammern, Wil- kommenheiten, Kindelbier, Badſtuben und Hausbringungen ganz abgethan, aus- genommen Sontags und Montags in der Koͤſte, und Sontags in den Kindel- bieren zur Mittagsmalzeit, doch in ziemlicher und nicht uͤberfluͤßiger Maſſe. Auf Manntagen, Handlungen und Zuſammenkuͤnften des Adels ſind Wein und Kraͤuter voͤllig zu meiden. Die Witwe, ſo ſich ohne Wiſſen der Freundſchaft mit einem ſchlechten Geſellen verehliget, die Ehefrau, die auſſer ihren Stande ſich unehrlicher Weiſe verſiehet, ſollen aller ihrer fraͤulichen Gerechtigkeit entbeh- ren, welche ſo dann an die naͤchſten Freunde erblich verfaͤlt. Wenn ein wohlge- borner Knecht eine Jungfrau mit geliebten oder behenden Worten an Ehren ſchwaͤchet und zu Fal bringet, ſol er ſich mit ihr echtigen laſſen. Wenn Bauren ſich tod ſchlagen, wird der Thaͤter am Halſe gericht, und wer dem Thaͤter beiſte- het, ſol auch am Halſe brechen. Entfuͤhrt ein Bauer eine Dirne ohne der Freun- de Wiſſen, den richtet man am Hals. Der Bauer, welcher Gewehr bey ſich traͤgt ohne Zeichen der Herrſchaft, verlieret daſſelbe. Ledige unbeſeſſene Bauer- knechte ſollen keinen Acker haben, ſondern um Lohn ſich auf ein Jahr vermiethen, verlaufen ſie, ſo fallen ſie in gebuͤhrliche Strafe. Weil die Muͤnchskloͤſter zur Unterweiſung der Undeutſchen, und die Jungfernkloͤſter fuͤr adeliche Toͤchter zur Erler- *) Die lieflaͤndiſchen Paternoſter waren ein wenig gros, und reichten wol bis auf die Erde. Sie beſtunben aus einer Reihe von mehr als hundert alten Henkelthalern. Auch die Baͤurinnen tra- gen, ſonderlich im Doͤrptiſchen, ſolche Pater am Halſe. Die Weiber der reichen Letten in und um Riga ſchuͤrzen einen maßiv ſilbernen Guͤrtel von ſauberer Kettenarbeit, woran gewoͤhnlich ein paar Schluͤſſel haͤngen, bey ihren Solennitaͤten um ſich, welches Stuͤck oft 80 bis 100 Tthlr. koſtet, auch wol ſtark verguldet, mit ſchoͤnen Steinen beſetzet, und an Silber 4 und mehr Pfund ſchwer iſt. Das gemeine Bauervolk traͤget auch dergleichen altaͤglich, aber nur von meßingenen Ket- gen, und hat ſtat der Schluͤſſel groſſe Meſſer daran hengen. Ein ſolcher ſilberner aber kuͤnſtlich ausgearbeiteter Guͤrtel wird von den Eſten roͤhhud, von den Letten jooſt genennet.

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Zitationshilfe: [Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Andrer Theil. Halle (Saale), 1753, S. 210. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lettus_chronik02_1753/228>, abgerufen am 27.11.2024.