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[Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Andrer Theil. Halle (Saale), 1753.

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Erzb. Steph. v. Gruben. zur Zeit der Reg. Bernh. v. der Borg.
den Heers mit nach Liefland, welcher Einfal im ganzen Lande Schrecken und1480
Verwüstung anrichtete. Bernhard von der Borg dachte nun auf Rache. Er
bot die gesamte Macht von Lief- und Estland auf, und that mit selbiger einen
Zug gegen die Russen, steckte die Vorstadt zu Plescow in Brand, und wol-
te sich von der Stadt selbst Meister machen. Doch sein Bruder, der revelsche
Bischof Simon, las erst eine so lange Messe, daß sich die Russen darüber ver-
stärkten; daher der dörptische Bischof aus Furcht eines Ueberfals sich nach
Hause machte, und seine Schlösser besetzte. Bernhard zog mit verdrieslichem
Muthe ab, und beschwerte sich über des Bischofs Trennung, der nun allein der
arme Sünder seyn solte. Die Russen gaben den Liefländern das Geleit, nah-
men Fellin mit stürmender Hand weg, eroberten Tarwest am See Ferscher,
sonst Wortzjerwe genant, führten viele in die Gefangenschaft, und machten
aus Verbitterung die ganze Gegend zur Einöde. Die traurigen Folgen dieses
mislungenen Unternehmens leitet Cranz aus der Unvorsichtigkeit her, daß man
die Nachbaren die gröste Macht zu unrechter Zeit in Augenschein nehmen lassen.

Von dieser dem Vorgeben nach ungeheuren Armee g) hatte jeder schon den
Heimweg gefunden. Mit dem Ueberrest derselben langte Bernhard vor der
Stadt Riga an, die sich auch des besten nicht versahe, sondern die Thore sperrete,
und wiederum die schwächere erzbischöfliche Partey ergrif. Die Bürgerschaft

wehrte
Franzosen nachthaten, die so starke Zufuhre lieferten, daß vor die Fracht viele 100
Last Salz liegen blieben. Neustädt kaufte selbst von den Russen in Narva 1 Pf.
Unzen Gold zu 10 Thlr. welches in Deutschland mit 15 Thlr. bezahlet worden; ganze
Ballen von den schönsten Damasten die brabander Elle zu 1 Thlr. welcher um 2 Thlr.
nicht eingekauft war; englische Tücher zu 30 bis 36 Tahler, die auswärts 45 gekostet.
Ja manchmal habe die Last Salz nur 1 Thaler gegolten. Die deutschen Factore
wurden von dem rußischen Gouverneur, wie ehmals zu Nogarden, alle Wochen
2 mal herrlich bewirthet und geliebkoset, welche Höflichkeit der rußischen Nation ei-
nen unglaublichen Ueberflus an allem ins Land gebracht. Uebrigens bemerken wir noch,
daß Herberstein S. 54 die Eroberung der Stadt Nogarden ins Jahr 1477 setzet,
dem Strykowsky und Pet. Petrejus beipflichten. Kojalowicz nimt das Jahr
1478, Cranz hat die Jahrzahl weggelassen, Henninges hält es für unausgemacht,
Michov hingegen, Philip Labbe, und Brentius nehmen 1479 an, für welches
auch die mehresten Zeugnisse angeführet werden können.
g) Die gesamte liefländische Macht wird uns in dem ersten Theile beim Jahre 1223 nach
dieser Ordnung beschrieben. 1) Der Bischof und seine Lehnsmänner, 2) der Herr
Meister und die Brüder der Ritterschaft Christi, 3) die vornehmen Pilger, 4) die
Kaufleute, 5) die rigischen Bürger, 6) die Liven, 7) die Letten. Ums Ende des
15 Jahrhunderts mus sie freilich ansehnlicher gewesen seyn. Wer wolte aber glauben,
daß die Macht von Liefland, (denn das schwache Preussen konte nun wenig hel-
fen) so ungeheuer gewesen wäre? Russov setzt die Anzahl der Völker des Ordensmei-
sters auf 100000 Man. Wer an diesen nicht genug zu glauben hat, dem stelt Cranz
200000 ins Feld *), mit welcher Menge zur Noth eine ofne Vorstadt abgebrant wer-
den konte. Plettenberg brauchte ein starkes Heer; um wie viel kleiner aber komt es
gegen diese Macht aufgezogen? Dergleichen Fehler der Vergrösserung giebt es viel,
auch in der liefländischen Hiftorie. Da diese zahlreiche Armee in Rußland nicht
Wunder that, so lies sich der Bischof von Dörpt weis machen, es sey auf sein Land
gemünzet, und kehrte also nach Cranzens Bericht geschwind nach Hause, die nöthi-
gen Gegenanstalten vorzukehren. So schlim war aber der Ordensmeister nicht, daß
er hätte auf die Russen zielen und den Bischof allein treffen sollen. Jndessen brachte
iln diese mislungene Reise um alles Ansehen. Dörpt kam der Nachbarschaft wegen
auch darüber ins Gedränge. Dieses muste die Haare dazu geben, wenn man sich in
Riga von Rauffen berathschlagete. Dürfte man sich wol darüber wundern, wenn die
in Dörpt endlich auf die Gedanken gerathen wären, lieber einen Freund als Feind
zum Nachbarn zu haben?
*) Eine andre Auflage von Cranzen hat viginti millia. Was hätte wol der arme Bischof in Dörpt
anfangen sollcu, wenn dieses Kriegesheer mit geraden Schritten über seine Residenz wegmarschi-
ret wäre? Doch Cranz sucht ofte in seinen Lesern den Affect der Barmherzigkeit gegen die lief-
ländischen
Bischöfe rege zu machen.
R r 2

Erzb. Steph. v. Gruben. zur Zeit der Reg. Bernh. v. der Borg.
den Heers mit nach Liefland, welcher Einfal im ganzen Lande Schrecken und1480
Verwuͤſtung anrichtete. Bernhard von der Borg dachte nun auf Rache. Er
bot die geſamte Macht von Lief- und Eſtland auf, und that mit ſelbiger einen
Zug gegen die Ruſſen, ſteckte die Vorſtadt zu Plescow in Brand, und wol-
te ſich von der Stadt ſelbſt Meiſter machen. Doch ſein Bruder, der revelſche
Biſchof Simon, las erſt eine ſo lange Meſſe, daß ſich die Ruſſen daruͤber ver-
ſtaͤrkten; daher der doͤrptiſche Biſchof aus Furcht eines Ueberfals ſich nach
Hauſe machte, und ſeine Schloͤſſer beſetzte. Bernhard zog mit verdrieslichem
Muthe ab, und beſchwerte ſich uͤber des Biſchofs Trennung, der nun allein der
arme Suͤnder ſeyn ſolte. Die Ruſſen gaben den Lieflaͤndern das Geleit, nah-
men Fellin mit ſtuͤrmender Hand weg, eroberten Tarweſt am See Ferſcher,
ſonſt Wortzjerwe genant, fuͤhrten viele in die Gefangenſchaft, und machten
aus Verbitterung die ganze Gegend zur Einoͤde. Die traurigen Folgen dieſes
mislungenen Unternehmens leitet Cranz aus der Unvorſichtigkeit her, daß man
die Nachbaren die groͤſte Macht zu unrechter Zeit in Augenſchein nehmen laſſen.

Von dieſer dem Vorgeben nach ungeheuren Armee g) hatte jeder ſchon den
Heimweg gefunden. Mit dem Ueberreſt derſelben langte Bernhard vor der
Stadt Riga an, die ſich auch des beſten nicht verſahe, ſondern die Thore ſperrete,
und wiederum die ſchwaͤchere erzbiſchoͤfliche Partey ergrif. Die Buͤrgerſchaft

wehrte
Franzoſen nachthaten, die ſo ſtarke Zufuhre lieferten, daß vor die Fracht viele 100
Laſt Salz liegen blieben. Neuſtaͤdt kaufte ſelbſt von den Ruſſen in Narva 1 Pf.
Unzen Gold zu 10 Thlr. welches in Deutſchland mit 15 Thlr. bezahlet worden; ganze
Ballen von den ſchoͤnſten Damaſten die brabander Elle zu 1 Thlr. welcher um 2 Thlr.
nicht eingekauft war; engliſche Tuͤcher zu 30 bis 36 Tahler, die auswaͤrts 45 gekoſtet.
Ja manchmal habe die Laſt Salz nur 1 Thaler gegolten. Die deutſchen Factore
wurden von dem rußiſchen Gouverneur, wie ehmals zu Nogarden, alle Wochen
2 mal herrlich bewirthet und geliebkoſet, welche Hoͤflichkeit der rußiſchen Nation ei-
nen unglaublichen Ueberflus an allem ins Land gebracht. Uebrigens bemerken wir noch,
daß Herberſtein S. 54 die Eroberung der Stadt Nogarden ins Jahr 1477 ſetzet,
dem Strykowsky und Pet. Petrejus beipflichten. Kojalowicz nimt das Jahr
1478, Cranz hat die Jahrzahl weggelaſſen, Henninges haͤlt es fuͤr unausgemacht,
Michov hingegen, Philip Labbe, und Brentius nehmen 1479 an, fuͤr welches
auch die mehreſten Zeugniſſe angefuͤhret werden koͤnnen.
g) Die geſamte lieflaͤndiſche Macht wird uns in dem erſten Theile beim Jahre 1223 nach
dieſer Ordnung beſchrieben. 1) Der Biſchof und ſeine Lehnsmaͤnner, 2) der Herr
Meiſter und die Bruͤder der Ritterſchaft Chriſti, 3) die vornehmen Pilger, 4) die
Kaufleute, 5) die rigiſchen Buͤrger, 6) die Liven, 7) die Letten. Ums Ende des
15 Jahrhunderts mus ſie freilich anſehnlicher geweſen ſeyn. Wer wolte aber glauben,
daß die Macht von Liefland, (denn das ſchwache Preuſſen konte nun wenig hel-
fen) ſo ungeheuer geweſen waͤre? Ruſſov ſetzt die Anzahl der Voͤlker des Ordensmei-
ſters auf 100000 Man. Wer an dieſen nicht genug zu glauben hat, dem ſtelt Cranz
200000 ins Feld *), mit welcher Menge zur Noth eine ofne Vorſtadt abgebrant wer-
den konte. Plettenberg brauchte ein ſtarkes Heer; um wie viel kleiner aber komt es
gegen dieſe Macht aufgezogen? Dergleichen Fehler der Vergroͤſſerung giebt es viel,
auch in der lieflaͤndiſchen Hiftorie. Da dieſe zahlreiche Armee in Rußland nicht
Wunder that, ſo lies ſich der Biſchof von Doͤrpt weis machen, es ſey auf ſein Land
gemuͤnzet, und kehrte alſo nach Cranzens Bericht geſchwind nach Hauſe, die noͤthi-
gen Gegenanſtalten vorzukehren. So ſchlim war aber der Ordensmeiſter nicht, daß
er haͤtte auf die Ruſſen zielen und den Biſchof allein treffen ſollen. Jndeſſen brachte
iln dieſe mislungene Reiſe um alles Anſehen. Doͤrpt kam der Nachbarſchaft wegen
auch daruͤber ins Gedraͤnge. Dieſes muſte die Haare dazu geben, wenn man ſich in
Riga von Rauffen berathſchlagete. Duͤrfte man ſich wol daruͤber wundern, wenn die
in Doͤrpt endlich auf die Gedanken gerathen waͤren, lieber einen Freund als Feind
zum Nachbarn zu haben?
*) Eine andre Auflage von Cranzen hat viginti millia. Was haͤtte wol der arme Biſchof in Doͤrpt
anfangen ſollcu, wenn dieſes Kriegesheer mit geraden Schritten uͤber ſeine Reſidenz wegmarſchi-
ret waͤre? Doch Cranz ſucht ofte in ſeinen Leſern den Affect der Barmherzigkeit gegen die lief-
laͤndiſchen
Biſchoͤfe rege zu machen.
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Zitationshilfe: [Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Andrer Theil. Halle (Saale), 1753, S. 159. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lettus_chronik02_1753/177>, abgerufen am 23.11.2024.