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[Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747.

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Geschichte des dritten Bischof Alberts, eilftes Jahr,
Des Bischof Alberts eilftes Jahr,
vom Jahr Christi 1208 bis 1209.
§. 1.
1208

Der Bischof Albert langete im eilften Jahre seines Bisthums wieder aus
Deutschland an, und hatte in seiner Reisegeselschaft eine zahlreiche
Menge Pilger. Unter diesen waren Rudolph von Jericho und
Wolther von Hamersleven, und andere mehrere Vornehme, Ritter und Geist-
liche mit allem ihrem Volke, die sich allesamt auf das gefährliche Meer begeben,
und in Liefland ankamen. Auf ihr Anrathen berief der Bischof alle schon längst
bekehrte Liven und Letten zusammen, und erinnerte sich der grossen Krän-
kung, in welche der König Vesceka von Kukenois ihn und die Seinen voriges
Jahr gesetzet, als er die Ritter, und seine Bedienten, so er auf seine Bitte ihm
mit vielen Kosten wider die Litthauer zu Hülfe geschickt, mit List und grossem
Betrug niedergemacht, und wandte sich mit allen Pilgern und seiner Armee nach
Kukenois. Da er nun den Schloßberg an sich selbst wüste, und wegen Unsau-
berkeit der ehmaligen Einwohner voller Ungeziefer und Schlangen fand, befahl
und bat er diesen Berg zu reinigen und wiederherzustellen, ließ ihn mit vesten Wer-
ken versehen, bauete ein sehr vestes Schloß daselbst, hinterließ dabey Soldaten
und Steinschützen mit seinen eigenen Bedienten, das Schloß zu bewahren, ließ
es auch mit vielen darauf gewandten Kosten genau bewachen, damit nicht etwan
der Litthauer Geschwindigkeit, oder der Russen Verstellung und List ihnen den
vorigen Possen spiele. Er überließ zugleich an oberwehnten Rudolph von Je-
richo
a) zwey Theile *) des Schlosses in seinem Namen, und den Brüdern
der Ritterschaft gab er ihren dritten Theil. Nachdem er sie daselbst gelassen, und
alles wohl eingerichtet, kehrte er nach Riga wieder zu seiner Gemeine. Die
Letten aber fielen immittelst mit zwey Armeen in Litthauen ein, machten ver-
schiedene nieder, nahmen manche gefangen, und langten wieder bey unsern Leu-
ten in Kukenois an, begaben sich auch hierauf mit dem Bischof und allen den
Jhrigen wieder nach Hause.

a) Chytraeus Saxon. l. 1. p. 18. Jm Jahr 1208 machte Albert Rudolphen von Jeri-
cho
über das von ihm daselbst erbauete Schloß (nemlich Kokenhusen) zum Commen-
danten.
§. 2.

Zu derselben Zeit war einer unter den Brüdern der Ritterschaft b), Wigbert,
der vielleicht sein Herze mehr zur Liebe der Welt als zur Ordenszucht geneiget, und
vor seine Person unter den Brüdern viele Mißhelligkeiten angestiftet hatte. Dieser,
weil er einen rechten Abscheu an dem Umgang der Heiligen, und einen Ueberdruß an dem
Ritterorden Christi spüren ließ, kam zu dem Priester nach Ydumea und gab vor, er
wolle daselbst warten, bis der Bischof käme und gegen denselben in allem sich folgsam
erweisen. Die Brüder der Ritterschaft aber, Bertold von Wenden und einige an-
dere Brüder und Bediente, setzten dem Bruder Wigbert als einem Entlaufenen nach,
bekamen ihn in Ydumea, führten ihn wieder nach Wenden und legten ihn in Ei-
sen. Als Wigbert des Bischofs Ankunft vernommen, bat er um seine Loslas-
sung und um die Freyheit nach Riga zu gehen, versprach auch dem Bischof und
den Brüdern gehorsam zu seyn. Die Brüder freueten sich und hoften, ihr Mit-
bruder würde nach so vielen widrigen Verdrießlichkeiten als der ungerathne Sohn
Busse thun; schickten ihn also mit allen Ehren nach Riga und thaten ihn wieder
in die Brüderschaft. Dieser aber, nachdem er als ein Judas unter den Brüdern
sich eine kleine Zeit aufgehalten, oder besser, als ein Wolf unter den Schafen,

wuste
*) Jm Manuscripte stehet medietatem, die Helfte, daß also der Bischof den vierten Theil für sich be-
halten.
Geſchichte des dritten Biſchof Alberts, eilftes Jahr,
Des Biſchof Alberts eilftes Jahr,
vom Jahr Chriſti 1208 bis 1209.
§. 1.
1208

Der Biſchof Albert langete im eilften Jahre ſeines Bisthums wieder aus
Deutſchland an, und hatte in ſeiner Reiſegeſelſchaft eine zahlreiche
Menge Pilger. Unter dieſen waren Rudolph von Jericho und
Wolther von Hamersleven, und andere mehrere Vornehme, Ritter und Geiſt-
liche mit allem ihrem Volke, die ſich alleſamt auf das gefaͤhrliche Meer begeben,
und in Liefland ankamen. Auf ihr Anrathen berief der Biſchof alle ſchon laͤngſt
bekehrte Liven und Letten zuſammen, und erinnerte ſich der groſſen Kraͤn-
kung, in welche der Koͤnig Veſceka von Kukenois ihn und die Seinen voriges
Jahr geſetzet, als er die Ritter, und ſeine Bedienten, ſo er auf ſeine Bitte ihm
mit vielen Koſten wider die Litthauer zu Huͤlfe geſchickt, mit Liſt und groſſem
Betrug niedergemacht, und wandte ſich mit allen Pilgern und ſeiner Armee nach
Kukenois. Da er nun den Schloßberg an ſich ſelbſt wuͤſte, und wegen Unſau-
berkeit der ehmaligen Einwohner voller Ungeziefer und Schlangen fand, befahl
und bat er dieſen Berg zu reinigen und wiederherzuſtellen, ließ ihn mit veſten Wer-
ken verſehen, bauete ein ſehr veſtes Schloß daſelbſt, hinterließ dabey Soldaten
und Steinſchuͤtzen mit ſeinen eigenen Bedienten, das Schloß zu bewahren, ließ
es auch mit vielen darauf gewandten Koſten genau bewachen, damit nicht etwan
der Litthauer Geſchwindigkeit, oder der Ruſſen Verſtellung und Liſt ihnen den
vorigen Poſſen ſpiele. Er uͤberließ zugleich an oberwehnten Rudolph von Je-
richo
a) zwey Theile *) des Schloſſes in ſeinem Namen, und den Bruͤdern
der Ritterſchaft gab er ihren dritten Theil. Nachdem er ſie daſelbſt gelaſſen, und
alles wohl eingerichtet, kehrte er nach Riga wieder zu ſeiner Gemeine. Die
Letten aber fielen immittelſt mit zwey Armeen in Litthauen ein, machten ver-
ſchiedene nieder, nahmen manche gefangen, und langten wieder bey unſern Leu-
ten in Kukenois an, begaben ſich auch hierauf mit dem Biſchof und allen den
Jhrigen wieder nach Hauſe.

a) Chytræus Saxon. l. 1. p. 18. Jm Jahr 1208 machte Albert Rudolphen von Jeri-
cho
uͤber das von ihm daſelbſt erbauete Schloß (nemlich Kokenhuſen) zum Commen-
danten.
§. 2.

Zu derſelben Zeit war einer unter den Bruͤdern der Ritterſchaft b), Wigbert,
der vielleicht ſein Herze mehr zur Liebe der Welt als zur Ordenszucht geneiget, und
vor ſeine Perſon unter den Bruͤdern viele Mißhelligkeiten angeſtiftet hatte. Dieſer,
weil er einen rechten Abſcheu an dem Umgang der Heiligen, und einen Ueberdruß an dem
Ritterorden Chriſti ſpuͤren ließ, kam zu dem Prieſter nach Ydumea und gab vor, er
wolle daſelbſt warten, bis der Biſchof kaͤme und gegen denſelben in allem ſich folgſam
erweiſen. Die Bruͤder der Ritterſchaft aber, Bertold von Wenden und einige an-
dere Bruͤder und Bediente, ſetzten dem Bruder Wigbert als einem Entlaufenen nach,
bekamen ihn in Ydumea, fuͤhrten ihn wieder nach Wenden und legten ihn in Ei-
ſen. Als Wigbert des Biſchofs Ankunft vernommen, bat er um ſeine Loslaſ-
ſung und um die Freyheit nach Riga zu gehen, verſprach auch dem Biſchof und
den Bruͤdern gehorſam zu ſeyn. Die Bruͤder freueten ſich und hoften, ihr Mit-
bruder wuͤrde nach ſo vielen widrigen Verdrießlichkeiten als der ungerathne Sohn
Buſſe thun; ſchickten ihn alſo mit allen Ehren nach Riga und thaten ihn wieder
in die Bruͤderſchaft. Dieſer aber, nachdem er als ein Judas unter den Bruͤdern
ſich eine kleine Zeit aufgehalten, oder beſſer, als ein Wolf unter den Schafen,

wuſte
*) Jm Manuſcripte ſtehet medietatem, die Helfte, daß alſo der Biſchof den vierten Theil fuͤr ſich be-
halten.
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[72/0104] Geſchichte des dritten Biſchof Alberts, eilftes Jahr, Des Biſchof Alberts eilftes Jahr, vom Jahr Chriſti 1208 bis 1209. §. 1. Der Biſchof Albert langete im eilften Jahre ſeines Bisthums wieder aus Deutſchland an, und hatte in ſeiner Reiſegeſelſchaft eine zahlreiche Menge Pilger. Unter dieſen waren Rudolph von Jericho und Wolther von Hamersleven, und andere mehrere Vornehme, Ritter und Geiſt- liche mit allem ihrem Volke, die ſich alleſamt auf das gefaͤhrliche Meer begeben, und in Liefland ankamen. Auf ihr Anrathen berief der Biſchof alle ſchon laͤngſt bekehrte Liven und Letten zuſammen, und erinnerte ſich der groſſen Kraͤn- kung, in welche der Koͤnig Veſceka von Kukenois ihn und die Seinen voriges Jahr geſetzet, als er die Ritter, und ſeine Bedienten, ſo er auf ſeine Bitte ihm mit vielen Koſten wider die Litthauer zu Huͤlfe geſchickt, mit Liſt und groſſem Betrug niedergemacht, und wandte ſich mit allen Pilgern und ſeiner Armee nach Kukenois. Da er nun den Schloßberg an ſich ſelbſt wuͤſte, und wegen Unſau- berkeit der ehmaligen Einwohner voller Ungeziefer und Schlangen fand, befahl und bat er dieſen Berg zu reinigen und wiederherzuſtellen, ließ ihn mit veſten Wer- ken verſehen, bauete ein ſehr veſtes Schloß daſelbſt, hinterließ dabey Soldaten und Steinſchuͤtzen mit ſeinen eigenen Bedienten, das Schloß zu bewahren, ließ es auch mit vielen darauf gewandten Koſten genau bewachen, damit nicht etwan der Litthauer Geſchwindigkeit, oder der Ruſſen Verſtellung und Liſt ihnen den vorigen Poſſen ſpiele. Er uͤberließ zugleich an oberwehnten Rudolph von Je- richo a⁾ zwey Theile *) des Schloſſes in ſeinem Namen, und den Bruͤdern der Ritterſchaft gab er ihren dritten Theil. Nachdem er ſie daſelbſt gelaſſen, und alles wohl eingerichtet, kehrte er nach Riga wieder zu ſeiner Gemeine. Die Letten aber fielen immittelſt mit zwey Armeen in Litthauen ein, machten ver- ſchiedene nieder, nahmen manche gefangen, und langten wieder bey unſern Leu- ten in Kukenois an, begaben ſich auch hierauf mit dem Biſchof und allen den Jhrigen wieder nach Hauſe. a⁾ Chytræus Saxon. l. 1. p. 18. Jm Jahr 1208 machte Albert Rudolphen von Jeri- cho uͤber das von ihm daſelbſt erbauete Schloß (nemlich Kokenhuſen) zum Commen- danten. §. 2. Zu derſelben Zeit war einer unter den Bruͤdern der Ritterſchaft b⁾ , Wigbert, der vielleicht ſein Herze mehr zur Liebe der Welt als zur Ordenszucht geneiget, und vor ſeine Perſon unter den Bruͤdern viele Mißhelligkeiten angeſtiftet hatte. Dieſer, weil er einen rechten Abſcheu an dem Umgang der Heiligen, und einen Ueberdruß an dem Ritterorden Chriſti ſpuͤren ließ, kam zu dem Prieſter nach Ydumea und gab vor, er wolle daſelbſt warten, bis der Biſchof kaͤme und gegen denſelben in allem ſich folgſam erweiſen. Die Bruͤder der Ritterſchaft aber, Bertold von Wenden und einige an- dere Bruͤder und Bediente, ſetzten dem Bruder Wigbert als einem Entlaufenen nach, bekamen ihn in Ydumea, fuͤhrten ihn wieder nach Wenden und legten ihn in Ei- ſen. Als Wigbert des Biſchofs Ankunft vernommen, bat er um ſeine Loslaſ- ſung und um die Freyheit nach Riga zu gehen, verſprach auch dem Biſchof und den Bruͤdern gehorſam zu ſeyn. Die Bruͤder freueten ſich und hoften, ihr Mit- bruder wuͤrde nach ſo vielen widrigen Verdrießlichkeiten als der ungerathne Sohn Buſſe thun; ſchickten ihn alſo mit allen Ehren nach Riga und thaten ihn wieder in die Bruͤderſchaft. Dieſer aber, nachdem er als ein Judas unter den Bruͤdern ſich eine kleine Zeit aufgehalten, oder beſſer, als ein Wolf unter den Schafen, wuſte *) Jm Manuſcripte ſtehet medietatem, die Helfte, daß alſo der Biſchof den vierten Theil fuͤr ſich be- halten.

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Zitationshilfe: [Lettus, Henricus]: Der Liefländischen Chronik Erster Theil. Halle, 1747, S. 72. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lettus_chronik01_1747/104>, abgerufen am 24.11.2024.