Lessing, Gotthold Ephraim: Nathan der Weise. Berlin, 1779.
Verächtlich von des Volkes Stimme denke? -- Jch habe längst gewünscht, den Mann zu kennen, Den es den Weisen nennt. Nathan. Und wenn es ihn Zum Spott so nennte? Wenn dem Volke weise Nichts weiter wär' als klug? und klug nur der, Der sich auf seinen Vortheil gut versteht? Saladin. Auf seinen wahren Vortheil, meynst du doch? Nathan. Dann freylich wär' der Eigennützigste Der Klügste. Dann wär' freylich klug und weise Nur eins. Saladin. Jch höre dich erweisen, was Du widersprechen willst. -- Des Menschen wahre Vortheile, die das Volk nicht kennt, kennst du. Hast du zu kennen wenigstens gesucht; Hast drüber nachgedacht: das auch allein Macht schon den Weisen. Nathan. Der sich jeder dünkt Zu seyn. Saladin. Nun der Bescheidenheit genug! Denn sie nur immerdar zu hören, wo Man H 2
Veraͤchtlich von des Volkes Stimme denke? — Jch habe laͤngſt gewuͤnſcht, den Mann zu kennen, Den es den Weiſen nennt. Nathan. Und wenn es ihn Zum Spott ſo nennte? Wenn dem Volke weiſe Nichts weiter waͤr’ als klug? und klug nur der, Der ſich auf ſeinen Vortheil gut verſteht? Saladin. Auf ſeinen wahren Vortheil, meynſt du doch? Nathan. Dann freylich waͤr’ der Eigennuͤtzigſte Der Kluͤgſte. Dann waͤr’ freylich klug und weiſe Nur eins. Saladin. Jch hoͤre dich erweiſen, was Du widerſprechen willſt. — Des Menſchen wahre Vortheile, die das Volk nicht kennt, kennſt du. Haſt du zu kennen wenigſtens geſucht; Haſt druͤber nachgedacht: das auch allein Macht ſchon den Weiſen. Nathan. Der ſich jeder duͤnkt Zu ſeyn. Saladin. Nun der Beſcheidenheit genug! Denn ſie nur immerdar zu hoͤren, wo Man H 2
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <sp who="#SAL"> <p><pb facs="#f0123" n="115"/> Veraͤchtlich von des Volkes Stimme denke? —<lb/> Jch habe laͤngſt gewuͤnſcht, den Mann zu kennen,<lb/> Den es den Weiſen nennt.</p> </sp><lb/> <sp who="#NAT"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#g">Nathan.</hi> </hi> </speaker><lb/> <p><hi rendition="#et">Und wenn es ihn</hi><lb/> Zum Spott ſo nennte? Wenn dem Volke weiſe<lb/> Nichts weiter waͤr’ als klug? und klug nur der,<lb/> Der ſich auf ſeinen Vortheil gut verſteht?</p> </sp><lb/> <sp who="#SAL"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#g">Saladin.</hi> </hi> </speaker><lb/> <p>Auf ſeinen wahren Vortheil, meynſt du doch?</p> </sp><lb/> <sp who="#NAT"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#g">Nathan.</hi> </hi> </speaker><lb/> <p>Dann freylich waͤr’ der Eigennuͤtzigſte<lb/> Der Kluͤgſte. Dann waͤr’ freylich klug und weiſe<lb/> Nur eins.</p> </sp><lb/> <sp who="#SAL"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#g">Saladin.</hi> </hi> </speaker><lb/> <p><hi rendition="#et">Jch hoͤre dich erweiſen, was</hi><lb/><hi rendition="#g">Du</hi> widerſprechen willſt. — Des Menſchen wahre<lb/> Vortheile, die das Volk nicht kennt, kennſt du.<lb/> Haſt du zu kennen wenigſtens geſucht;<lb/> Haſt druͤber nachgedacht: das auch allein<lb/> Macht ſchon den Weiſen.</p> </sp><lb/> <sp who="#NAT"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#g">Nathan.</hi> </hi> </speaker><lb/> <p><hi rendition="#et">Der ſich jeder duͤnkt</hi><lb/> Zu ſeyn.</p> </sp><lb/> <sp who="#SAL"> <speaker> <hi rendition="#fr"> <hi rendition="#g">Saladin.</hi> </hi> </speaker><lb/> <p><hi rendition="#et">Nun der Beſcheidenheit genug!</hi><lb/> Denn ſie nur immerdar zu hoͤren, wo<lb/> <fw place="bottom" type="sig">H 2</fw><fw place="bottom" type="catch">Man</fw><lb/></p> </sp> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [115/0123]
Veraͤchtlich von des Volkes Stimme denke? —
Jch habe laͤngſt gewuͤnſcht, den Mann zu kennen,
Den es den Weiſen nennt.
Nathan.
Und wenn es ihn
Zum Spott ſo nennte? Wenn dem Volke weiſe
Nichts weiter waͤr’ als klug? und klug nur der,
Der ſich auf ſeinen Vortheil gut verſteht?
Saladin.
Auf ſeinen wahren Vortheil, meynſt du doch?
Nathan.
Dann freylich waͤr’ der Eigennuͤtzigſte
Der Kluͤgſte. Dann waͤr’ freylich klug und weiſe
Nur eins.
Saladin.
Jch hoͤre dich erweiſen, was
Du widerſprechen willſt. — Des Menſchen wahre
Vortheile, die das Volk nicht kennt, kennſt du.
Haſt du zu kennen wenigſtens geſucht;
Haſt druͤber nachgedacht: das auch allein
Macht ſchon den Weiſen.
Nathan.
Der ſich jeder duͤnkt
Zu ſeyn.
Saladin.
Nun der Beſcheidenheit genug!
Denn ſie nur immerdar zu hoͤren, wo
Man
H 2
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools
|
URL zu diesem Werk: | https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_nathan_1779 |
URL zu dieser Seite: | https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_nathan_1779/123 |
Zitationshilfe: | Lessing, Gotthold Ephraim: Nathan der Weise. Berlin, 1779, S. 115. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_nathan_1779/123>, abgerufen am 22.07.2024. |