Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759.

Bild:
<< vorherige Seite
XXI.
Die Traube.

Ich kenne einen Dichter, dem die schreien-
de Bewunderung seiner kleinen Nachahmer weit
mehr geschadet hat, als die neidische Verachtung
seiner Kunstrichter.

Sie ist ja doch sauer! sagte der Fuchs von der
Traube, nach der er lange genug vergebens gesprun-
gen war. Das hörte ein Sperling und sprach:
Sauer sollte diese Traube seyn? Darnach sieht sie
mir doch nicht aus! Er flog hin, und kostete, und
fand sie ungemein süsse, und rief hundert näschiche
Brüder herbey. Kostet doch! schrie er; kostet doch!
Diese treffliche Traube schalt der Fuchs sauer. --
Sie kosteten alle, und in wenig Augenblicken ward
die Traube so zugerichtet, daß nie ein Fuchs wieder
darnach sprang.



XXII. Der
XXI.
Die Traube.

Ich kenne einen Dichter, dem die ſchreien-
de Bewunderung ſeiner kleinen Nachahmer weit
mehr geſchadet hat, als die neidiſche Verachtung
ſeiner Kunſtrichter.

Sie iſt ja doch ſauer! ſagte der Fuchs von der
Traube, nach der er lange genug vergebens geſprun-
gen war. Das hörte ein Sperling und ſprach:
Sauer ſollte dieſe Traube ſeyn? Darnach ſieht ſie
mir doch nicht aus! Er flog hin, und koſtete, und
fand ſie ungemein ſüſſe, und rief hundert näſchiche
Brüder herbey. Koſtet doch! ſchrie er; koſtet doch!
Dieſe treffliche Traube ſchalt der Fuchs ſauer. —
Sie koſteten alle, und in wenig Augenblicken ward
die Traube ſo zugerichtet, daß nie ein Fuchs wieder
darnach ſprang.



XXII. Der
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0081" n="61"/>
        <div n="2">
          <head> <hi rendition="#g"><hi rendition="#aq">XXI.</hi><lb/>
Die <hi rendition="#fr">Traube.</hi></hi> </head><lb/>
          <p><hi rendition="#in">I</hi>ch kenne einen Dichter, dem die &#x017F;chreien-<lb/>
de Bewunderung &#x017F;einer kleinen Nachahmer weit<lb/>
mehr ge&#x017F;chadet hat, als die neidi&#x017F;che Verachtung<lb/>
&#x017F;einer Kun&#x017F;trichter.</p><lb/>
          <p>Sie i&#x017F;t ja doch &#x017F;auer! &#x017F;agte der Fuchs von der<lb/>
Traube, nach der er lange genug vergebens ge&#x017F;prun-<lb/>
gen war. Das hörte ein Sperling und &#x017F;prach:<lb/>
Sauer &#x017F;ollte die&#x017F;e Traube &#x017F;eyn? Darnach &#x017F;ieht &#x017F;ie<lb/>
mir doch nicht aus! Er flog hin, und ko&#x017F;tete, und<lb/>
fand &#x017F;ie ungemein &#x017F;ü&#x017F;&#x017F;e, und rief hundert nä&#x017F;chiche<lb/>
Brüder herbey. Ko&#x017F;tet doch! &#x017F;chrie er; ko&#x017F;tet doch!<lb/>
Die&#x017F;e treffliche Traube &#x017F;chalt der Fuchs &#x017F;auer. &#x2014;<lb/>
Sie ko&#x017F;teten alle, und in wenig Augenblicken ward<lb/>
die Traube &#x017F;o zugerichtet, daß nie ein Fuchs wieder<lb/>
darnach &#x017F;prang.</p>
        </div><lb/>
        <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        <fw place="bottom" type="catch"><hi rendition="#aq">XXII.</hi> Der</fw><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[61/0081] XXI. Die Traube. Ich kenne einen Dichter, dem die ſchreien- de Bewunderung ſeiner kleinen Nachahmer weit mehr geſchadet hat, als die neidiſche Verachtung ſeiner Kunſtrichter. Sie iſt ja doch ſauer! ſagte der Fuchs von der Traube, nach der er lange genug vergebens geſprun- gen war. Das hörte ein Sperling und ſprach: Sauer ſollte dieſe Traube ſeyn? Darnach ſieht ſie mir doch nicht aus! Er flog hin, und koſtete, und fand ſie ungemein ſüſſe, und rief hundert näſchiche Brüder herbey. Koſtet doch! ſchrie er; koſtet doch! Dieſe treffliche Traube ſchalt der Fuchs ſauer. — Sie koſteten alle, und in wenig Augenblicken ward die Traube ſo zugerichtet, daß nie ein Fuchs wieder darnach ſprang. XXII. Der

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/81
Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 61. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/81>, abgerufen am 22.12.2024.