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Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759.

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nicht, so liegt auch sein ganzes Fabelsystem, mit
einmal, über dem Hauffen.

Wunderbar soll diese Einführung seyn? Das
Wunderbare, sagt eben dieser Kunstrichter, legt
den Schein der Wahrheit und Möglichkeit ab. Die-
se anscheinende Unmöglichkeit also gehöret zu dem
Wesen des Wunderbaren; und wie soll ich nunmehr
jenen Gebrauch der Alten, den sie selbst schon zu
einer Regel gemacht hatten, damit vergleichen? Die
Alten nehmlich fingen ihre Fabeln am liebsten mit
dem Phasi, und dem darauf folgenden Klagefalle
an. Die griechischen Rhetores nennen dieses kurz,
die Fabel in dem Klagefalle (tais aitiatikais) vor-
tragen; und Theon, wenn er in seinen Vorübun-
gen
* hierauf kömmt, führet eine Stelle des Ari-
stoteles
an, wo der Philosoph diesen Gebrauch
billiget, und es zwar deswegen für rathsamer er-
kläret, sich bey Einführung einer Fabel lieber auf
das Alterthum zu beruffen, als in der eigenen Per-
son zu sprechen, damit man den Anschein, als
erzehle man etwas unmögliches, vermindere.

(ina
* Nach der Ausgabe des Camerartus S. 28.

nicht, ſo liegt auch ſein ganzes Fabelſyſtem, mit
einmal, über dem Hauffen.

Wunderbar ſoll dieſe Einführung ſeyn? Das
Wunderbare, ſagt eben dieſer Kunſtrichter, legt
den Schein der Wahrheit und Möglichkeit ab. Die-
ſe anſcheinende Unmöglichkeit alſo gehöret zu dem
Weſen des Wunderbaren; und wie ſoll ich nunmehr
jenen Gebrauch der Alten, den ſie ſelbſt ſchon zu
einer Regel gemacht hatten, damit vergleichen? Die
Alten nehmlich fingen ihre Fabeln am liebſten mit
dem Φασι, und dem darauf folgenden Klagefalle
an. Die griechiſchen Rhetores nennen dieſes kurz,
die Fabel in dem Klagefalle (ταις ἀιτιατικαις) vor-
tragen; und Theon, wenn er in ſeinen Vorübun-
gen
* hierauf kömmt, führet eine Stelle des Ari-
ſtoteles
an, wo der Philoſoph dieſen Gebrauch
billiget, und es zwar deswegen für rathſamer er-
kläret, ſich bey Einführung einer Fabel lieber auf
das Alterthum zu beruffen, als in der eigenen Per-
ſon zu ſprechen, damit man den Anſchein, als
erzehle man etwas unmögliches, vermindere.

(ἱνα
* Nach der Ausgabe des Camerartus S. 28.
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[178/0198] nicht, ſo liegt auch ſein ganzes Fabelſyſtem, mit einmal, über dem Hauffen. Wunderbar ſoll dieſe Einführung ſeyn? Das Wunderbare, ſagt eben dieſer Kunſtrichter, legt den Schein der Wahrheit und Möglichkeit ab. Die- ſe anſcheinende Unmöglichkeit alſo gehöret zu dem Weſen des Wunderbaren; und wie ſoll ich nunmehr jenen Gebrauch der Alten, den ſie ſelbſt ſchon zu einer Regel gemacht hatten, damit vergleichen? Die Alten nehmlich fingen ihre Fabeln am liebſten mit dem Φασι, und dem darauf folgenden Klagefalle an. Die griechiſchen Rhetores nennen dieſes kurz, die Fabel in dem Klagefalle (ταις ἀιτιατικαις) vor- tragen; und Theon, wenn er in ſeinen Vorübun- gen * hierauf kömmt, führet eine Stelle des Ari- ſtoteles an, wo der Philoſoph dieſen Gebrauch billiget, und es zwar deswegen für rathſamer er- kläret, ſich bey Einführung einer Fabel lieber auf das Alterthum zu beruffen, als in der eigenen Per- ſon zu ſprechen, damit man den Anſchein, als erzehle man etwas unmögliches, vermindere. (ἱνα * Nach der Ausgabe des Camerartus S. 28.

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Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 178. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/198>, abgerufen am 21.11.2024.