allein. Der Fall ereignet sich allezeit, so oft das Netz gezogen wird, daß die Fische welche kleiner sind, als die Gitter des Netzes, durchschlupfen und die grössern hangen bleiben. Vor sich selbst ist dieser Fall also kein indwidueller Fall, sondern hätte es durch andere mit ihm verbundene Nebenumstände erst werden müssen.
Die Sache hat also ihre Richtigkeit: der beson- dere Fall, aus welchem die Fabel bestehet, muß als wirklich vorgestellt werden; er muß das seyn, was wir in dem strengsten Verstande einen einzeln Fall nennen. Aber warum? Wie steht es um die phi- losophische Ursache? Warum begnügt sich das Exem- pel der practischen Sittenlehre, wie man die Fabel nennen kann, nicht mit der blossen Möglichkeit, mit der sich die Exempel andrer Wissenschaften begnü- gen? -- Wie viel liesse sich hiervon plaudern, wenn ich bey meinen Lesern gar keine richtige psychologi- sche Begriffe voraussetzen wollte. Ich habe mich oben schon geweigert, die Lehre von der anschauen- den Erkenntniß aus unserm Weltweisen abzuschrei- ben. Und ich will auch hier nicht mehr davon bey-
bringen,
allein. Der Fall ereignet ſich allezeit, ſo oft das Netz gezogen wird, daß die Fiſche welche kleiner ſind, als die Gitter des Netzes, durchſchlupfen und die gröſſern hangen bleiben. Vor ſich ſelbſt iſt dieſer Fall alſo kein indwidueller Fall, ſondern hätte es durch andere mit ihm verbundene Nebenumſtände erſt werden müſſen.
Die Sache hat alſo ihre Richtigkeit: der beſon- dere Fall, aus welchem die Fabel beſtehet, muß als wirklich vorgeſtellt werden; er muß das ſeyn, was wir in dem ſtrengſten Verſtande einen einzeln Fall nennen. Aber warum? Wie ſteht es um die phi- loſophiſche Urſache? Warum begnügt ſich das Exem- pel der practiſchen Sittenlehre, wie man die Fabel nennen kann, nicht mit der bloſſen Möglichkeit, mit der ſich die Exempel andrer Wiſſenſchaften begnü- gen? — Wie viel lieſſe ſich hiervon plaudern, wenn ich bey meinen Leſern gar keine richtige pſychologi- ſche Begriffe vorausſetzen wollte. Ich habe mich oben ſchon geweigert, die Lehre von der anſchauen- den Erkenntniß aus unſerm Weltweiſen abzuſchrei- ben. Und ich will auch hier nicht mehr davon bey-
bringen,
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allein. Der Fall ereignet ſich allezeit, ſo oft das
Netz gezogen wird, daß die Fiſche welche kleiner ſind,
als die Gitter des Netzes, durchſchlupfen und die
gröſſern hangen bleiben. Vor ſich ſelbſt iſt dieſer
Fall alſo kein indwidueller Fall, ſondern hätte es
durch andere mit ihm verbundene Nebenumſtände
erſt werden müſſen.
Die Sache hat alſo ihre Richtigkeit: der beſon-
dere Fall, aus welchem die Fabel beſtehet, muß als
wirklich vorgeſtellt werden; er muß das ſeyn, was
wir in dem ſtrengſten Verſtande einen einzeln Fall
nennen. Aber warum? Wie ſteht es um die phi-
loſophiſche Urſache? Warum begnügt ſich das Exem-
pel der practiſchen Sittenlehre, wie man die Fabel
nennen kann, nicht mit der bloſſen Möglichkeit, mit
der ſich die Exempel andrer Wiſſenſchaften begnü-
gen? — Wie viel lieſſe ſich hiervon plaudern, wenn
ich bey meinen Leſern gar keine richtige pſychologi-
ſche Begriffe vorausſetzen wollte. Ich habe mich
oben ſchon geweigert, die Lehre von der anſchauen-
den Erkenntniß aus unſerm Weltweiſen abzuſchrei-
ben. Und ich will auch hier nicht mehr davon bey-
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Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 164. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/184>, abgerufen am 16.02.2025.
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