ist eine Un- "ternehmung, die mit Wahl und Absicht geschie- "het. -- Die Handlung setzet, ausser dem Leben "und der Wirksamkeit, auch Wahl und Endzweck "voraus, und kömmt nur vernünftigen Wesen zu."
Wenn diese Erklärung ihre Richtigkeit hat, so mögen wir nur neun Zehntheile von allen existiren- den Fabeln ausstreichen. Aesopus selbst wird als- dann, deren kaum zwey oder drey gemacht haben, welche die Probe halten. --
"Zwey Hähne kämpfen "mit einander. Der Besiegte verkriecht sich. Der "Sieger fliegt auf das Dach, schlägt stolz mit den "Flügeln und krähet. Plötzlich schießt ein Adler "auf den Sieger herab, und zerfleischt ihn *. --
Ich habe das allezeit für eine sehr glückliche Fabel gehalten; und doch fehlt ihr, nach dem Batteux, die Handlung. Denn wo ist hier eine Unterneh- mung, die mit Wahl und Absicht geschähe? --
"Der Hirsch betrachtet sich in einer spiegelnden "Quelle; er schämt sich seiner dürren Läufte; und "freuet sich seines stolzen Geweihes. Aber nicht
"lange!
*Aesop. Fab. 145.
K
„Eine Handlung,
ſagt Batteux,
iſt eine Un- „ternehmung, die mit Wahl und Abſicht geſchie- „het. — Die Handlung ſetzet, auſſer dem Leben „und der Wirkſamkeit, auch Wahl und Endzweck „voraus, und kömmt nur vernünftigen Weſen zu.“
Wenn dieſe Erklärung ihre Richtigkeit hat, ſo mögen wir nur neun Zehntheile von allen exiſtiren- den Fabeln ausſtreichen. Aeſopus ſelbſt wird als- dann, deren kaum zwey oder drey gemacht haben, welche die Probe halten. —
„Zwey Hähne kämpfen „mit einander. Der Beſiegte verkriecht ſich. Der „Sieger fliegt auf das Dach, ſchlägt ſtolz mit den „Flügeln und krähet. Plötzlich ſchießt ein Adler „auf den Sieger herab, und zerfleiſcht ihn *. —
Ich habe das allezeit für eine ſehr glückliche Fabel gehalten; und doch fehlt ihr, nach dem Batteux, die Handlung. Denn wo iſt hier eine Unterneh- mung, die mit Wahl und Abſicht geſchähe? —
„Der Hirſch betrachtet ſich in einer ſpiegelnden „Quelle; er ſchämt ſich ſeiner dürren Läufte; und „freuet ſich ſeines ſtolzen Geweihes. Aber nicht
„lange!
*Aeſop. Fab. 145.
K
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„Eine Handlung, ſagt Batteux,
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„ternehmung, die mit Wahl und Abſicht geſchie-
„het. — Die Handlung ſetzet, auſſer dem Leben
„und der Wirkſamkeit, auch Wahl und Endzweck
„voraus, und kömmt nur vernünftigen Weſen zu.“
Wenn dieſe Erklärung ihre Richtigkeit hat, ſo
mögen wir nur neun Zehntheile von allen exiſtiren-
den Fabeln ausſtreichen. Aeſopus ſelbſt wird als-
dann, deren kaum zwey oder drey gemacht haben,
welche die Probe halten. —
„Zwey Hähne kämpfen
„mit einander. Der Beſiegte verkriecht ſich. Der
„Sieger fliegt auf das Dach, ſchlägt ſtolz mit den
„Flügeln und krähet. Plötzlich ſchießt ein Adler
„auf den Sieger herab, und zerfleiſcht ihn *. —
Ich habe das allezeit für eine ſehr glückliche Fabel
gehalten; und doch fehlt ihr, nach dem Batteux,
die Handlung. Denn wo iſt hier eine Unterneh-
mung, die mit Wahl und Abſicht geſchähe? —
„Der Hirſch betrachtet ſich in einer ſpiegelnden
„Quelle; er ſchämt ſich ſeiner dürren Läufte; und
„freuet ſich ſeines ſtolzen Geweihes. Aber nicht
„lange!
* Aeſop. Fab. 145.
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Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/165>, abgerufen am 16.02.2025.
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