nicht verdienet, wenn ihre vermeinte Handlung, sich ganz mahlen läßt. Sie enthält alsdenn ein blosses Bild, und der Mahler hat keine Fabel, son- dern ein Emblema gemahlt. --
"Ein Fischer, in- "dem er sein Netz aus dem Meere zog, blieb der "grössern Fifche, die sich darinn gefangen hatten, "zwar habhaft, die kleinsten aber schlupften durch "das Netz durch, und gelangten glücklich wieder ins "Wasser."
-- Diese Erzehlung befindet sich unter den Aesopischen Fabeln *, aber sie ist keine Fabel; wenigstens eine sehr mittelmässige. Sie hat keine Handlung, sie enthält ein blosses einzelnes Factum, das sich ganz mahlen läßt; und wenn ich dieses ein- zelne Factum, dieses Zurückbleiben der grössern und dieses Durchschlupfen der kleinen Fische, auch mit noch so viel andern Umständen erweiterte, so würde doch in ihm allein, und nicht in den andern Um- ständen zugleich mit, der moralische Lehrsatz liegen.
Doch nicht genug, daß das, was die Fabel erzehlt, eine Folge von Veränderungen ist; alle diese Verände- rungen müssen zusammen nur einen einzigen an-
schauen-
*Fab. Aefop. 126.
J 5
nicht verdienet, wenn ihre vermeinte Handlung, ſich ganz mahlen läßt. Sie enthält alsdenn ein bloſſes Bild, und der Mahler hat keine Fabel, ſon- dern ein Emblema gemahlt. —
„Ein Fiſcher, in- „dem er ſein Netz aus dem Meere zog, blieb der „gröſſern Fifche, die ſich darinn gefangen hatten, „zwar habhaft, die kleinſten aber ſchlupften durch „das Netz durch, und gelangten glücklich wieder ins „Waſſer.“
— Dieſe Erzehlung befindet ſich unter den Aeſopiſchen Fabeln *, aber ſie iſt keine Fabel; wenigſtens eine ſehr mittelmäſſige. Sie hat keine Handlung, ſie enthält ein bloſſes einzelnes Factum, das ſich ganz mahlen läßt; und wenn ich dieſes ein- zelne Factum, dieſes Zurückbleiben der gröſſern und dieſes Durchſchlupfen der kleinen Fiſche, auch mit noch ſo viel andern Umſtänden erweiterte, ſo würde doch in ihm allein, und nicht in den andern Um- ſtänden zugleich mit, der moraliſche Lehrſatz liegen.
Doch nicht genug, daß das, was die Fabel erzehlt, eine Folge von Veränderungen iſt; alle dieſe Verände- rungen müſſen zuſammen nur einen einzigen an-
ſchauen-
*Fab. Aefop. 126.
J 5
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nicht verdienet, wenn ihre vermeinte Handlung,
ſich ganz mahlen läßt. Sie enthält alsdenn ein
bloſſes Bild, und der Mahler hat keine Fabel, ſon-
dern ein Emblema gemahlt. —
„Ein Fiſcher, in-
„dem er ſein Netz aus dem Meere zog, blieb der
„gröſſern Fifche, die ſich darinn gefangen hatten,
„zwar habhaft, die kleinſten aber ſchlupften durch
„das Netz durch, und gelangten glücklich wieder ins
„Waſſer.“ — Dieſe Erzehlung befindet ſich unter
den Aeſopiſchen Fabeln *, aber ſie iſt keine Fabel;
wenigſtens eine ſehr mittelmäſſige. Sie hat keine
Handlung, ſie enthält ein bloſſes einzelnes Factum,
das ſich ganz mahlen läßt; und wenn ich dieſes ein-
zelne Factum, dieſes Zurückbleiben der gröſſern und
dieſes Durchſchlupfen der kleinen Fiſche, auch mit
noch ſo viel andern Umſtänden erweiterte, ſo würde
doch in ihm allein, und nicht in den andern Um-
ſtänden zugleich mit, der moraliſche Lehrſatz liegen.
Doch nicht genug, daß das, was die Fabel erzehlt,
eine Folge von Veränderungen iſt; alle dieſe Verände-
rungen müſſen zuſammen nur einen einzigen an-
ſchauen-
* Fab. Aefop. 126.
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Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 137. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/157>, abgerufen am 16.02.2025.
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