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Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759.

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Die Allegorie sagt also nicht, was sie den Wor-
ten nach zu sagen scheinet, sondern etwas ähnli-
ches
. Und die Handlung der Fabel, wenn sie alle-
gorisch seyn soll, muß das auch nicht sagen, was
sie zu sagen scheinet, sondern nur etwas ähnliches?

Wir wollen sehen! -- "Der Schwächere wird
"gemeiniglich ein Raub des Mächtigern
."
Das ist ein allgemeiner Satz, bey welchem ich mir
eine Reihe von Dingen gedenke, deren eines immer
stärker ist als das andere; die sich also, nach der Fol-
ge ihrer verschiednen Stärke, unter einander auf-
reiben können. Eine Reihe von Dingen! Wer
wird lange und gern den öden Begriff eines Din-
ges
denken, ohne auf dieses oder jenes besondere
Ding
zu fallen, dessen Eigenschaften ihm ein deut-
liches Bild gewähren? Ich will also auch hier, an-
statt dieser Reihe von unbestimmten Dingen, eine
Reihe bestimmter, wirklicher Dinge annehmen.
Ich könnte mir in der Geschichte eine Reihe von
Staaten oder Königen suchen; aber wie viele sind
in der Geschichte so bewandert, daß sie, so bald ich
meine Staaten oder Könige nur nennte, sich der

Verhält-
H 5

Die Allegorie ſagt alſo nicht, was ſie den Wor-
ten nach zu ſagen ſcheinet, ſondern etwas ähnli-
ches
. Und die Handlung der Fabel, wenn ſie alle-
goriſch ſeyn ſoll, muß das auch nicht ſagen, was
ſie zu ſagen ſcheinet, ſondern nur etwas ähnliches?

Wir wollen ſehen! — „Der Schwächere wird
„gemeiniglich ein Raub des Mächtigern
.“
Das iſt ein allgemeiner Satz, bey welchem ich mir
eine Reihe von Dingen gedenke, deren eines immer
ſtärker iſt als das andere; die ſich alſo, nach der Fol-
ge ihrer verſchiednen Stärke, unter einander auf-
reiben können. Eine Reihe von Dingen! Wer
wird lange und gern den öden Begriff eines Din-
ges
denken, ohne auf dieſes oder jenes beſondere
Ding
zu fallen, deſſen Eigenſchaften ihm ein deut-
liches Bild gewähren? Ich will alſo auch hier, an-
ſtatt dieſer Reihe von unbeſtimmten Dingen, eine
Reihe beſtimmter, wirklicher Dinge annehmen.
Ich könnte mir in der Geſchichte eine Reihe von
Staaten oder Königen ſuchen; aber wie viele ſind
in der Geſchichte ſo bewandert, daß ſie, ſo bald ich
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[121/0141] Die Allegorie ſagt alſo nicht, was ſie den Wor- ten nach zu ſagen ſcheinet, ſondern etwas ähnli- ches. Und die Handlung der Fabel, wenn ſie alle- goriſch ſeyn ſoll, muß das auch nicht ſagen, was ſie zu ſagen ſcheinet, ſondern nur etwas ähnliches? Wir wollen ſehen! — „Der Schwächere wird „gemeiniglich ein Raub des Mächtigern.“ Das iſt ein allgemeiner Satz, bey welchem ich mir eine Reihe von Dingen gedenke, deren eines immer ſtärker iſt als das andere; die ſich alſo, nach der Fol- ge ihrer verſchiednen Stärke, unter einander auf- reiben können. Eine Reihe von Dingen! Wer wird lange und gern den öden Begriff eines Din- ges denken, ohne auf dieſes oder jenes beſondere Ding zu fallen, deſſen Eigenſchaften ihm ein deut- liches Bild gewähren? Ich will alſo auch hier, an- ſtatt dieſer Reihe von unbeſtimmten Dingen, eine Reihe beſtimmter, wirklicher Dinge annehmen. Ich könnte mir in der Geſchichte eine Reihe von Staaten oder Königen ſuchen; aber wie viele ſind in der Geſchichte ſo bewandert, daß ſie, ſo bald ich meine Staaten oder Könige nur nennte, ſich der Verhält- H 5

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Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 121. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/141>, abgerufen am 23.11.2024.