XVI. DieGeschichte des alten Wolfs, in sieben Fabeln. (1)
Der böse Wolf war zu Jahren gekommen, und faßte den gleissenden Entschluß, mit den Schäfern auf einem gütlichen Fuß zu leben. Er machte sich also auf, und kam zu dem Schäfer, dessen Horden seiner Höhle die nächsten waren.
Schäfer, sprach er, du nennest mich den blut- gierigen Räuber, der ich doch wirklich nicht bin. Freylich muß ich mich an deine Schafe halten, wenn mich hungert; denn Hunger thut weh. Schütze mich nur vor dem Hunger; mache mich nur satt, und du sollst mit mir recht wohl zufrieden seyn. Denn ich bin wirklich das zahmste, sanftmüthigste Thier, wenn ich satt bin.
Wenn du satt bist? Das kann wohl seyn: ver- setzte der Schäfer. Aber wenn bist du denn satt? Du und der Geitz werden es nie. Geh deinen Weg!
XVI. (2)
XVI. DieGeſchichte des alten Wolfs, in ſieben Fabeln. (1)
Der böſe Wolf war zu Jahren gekommen, und faßte den gleiſſenden Entſchluß, mit den Schäfern auf einem gütlichen Fuß zu leben. Er machte ſich alſo auf, und kam zu dem Schäfer, deſſen Horden ſeiner Höhle die nächſten waren.
Schäfer, ſprach er, du nenneſt mich den blut- gierigen Räuber, der ich doch wirklich nicht bin. Freylich muß ich mich an deine Schafe halten, wenn mich hungert; denn Hunger thut weh. Schütze mich nur vor dem Hunger; mache mich nur ſatt, und du ſollſt mit mir recht wohl zufrieden ſeyn. Denn ich bin wirklich das zahmſte, ſanftmüthigſte Thier, wenn ich ſatt bin.
Wenn du ſatt biſt? Das kann wohl ſeyn: ver- ſetzte der Schäfer. Aber wenn biſt du denn ſatt? Du und der Geitz werden es nie. Geh deinen Weg!
XVI. (2)
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XVI.
Die Geſchichte des alten Wolfs,
in ſieben Fabeln.
(1)
Der böſe Wolf war zu Jahren gekommen, und
faßte den gleiſſenden Entſchluß, mit den Schäfern
auf einem gütlichen Fuß zu leben. Er machte ſich
alſo auf, und kam zu dem Schäfer, deſſen Horden
ſeiner Höhle die nächſten waren.
Schäfer, ſprach er, du nenneſt mich den blut-
gierigen Räuber, der ich doch wirklich nicht bin.
Freylich muß ich mich an deine Schafe halten, wenn
mich hungert; denn Hunger thut weh. Schütze
mich nur vor dem Hunger; mache mich nur ſatt,
und du ſollſt mit mir recht wohl zufrieden ſeyn.
Denn ich bin wirklich das zahmſte, ſanftmüthigſte
Thier, wenn ich ſatt bin.
Wenn du ſatt biſt? Das kann wohl ſeyn: ver-
ſetzte der Schäfer. Aber wenn biſt du denn ſatt?
Du und der Geitz werden es nie. Geh deinen Weg!
XVI. (2)
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Lessing, Gotthold Ephraim: Fabeln. Berlin, 1759, S. 92. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_fabeln_1759/112>, abgerufen am 04.03.2025.
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