Lessing, Gotthold Ephraim: Emilia Galotti. Berlin, 1772.Emilia Galotti. des Laster uns, wider unsern Willen, zu Mitschul- digen machen kann! Claudia. Fasse dich! -- Sammle deine Ge- danken, so viel dir möglich. -- Sag' es mir mit eins, was dir geschehen. Emilia. Eben hatt' ich mich! -- weiter von dem Altare, als ich sonst pflege, -- denn ich kam zu spät -- auf mein Knie gelassen. Eben fieng ich an, mein Herz zu erheben: als dicht hinter mir etwas seinen Platz nahm. So dicht hinter mir! -- Jch konnte weder vor, noch zur Seite rücken, -- so gern ich auch wollte; aus Furcht, daß eines an- dern Andacht mich in meiner stören möchte. -- Andacht! das war das schlimmste, was ich be- sorgte. -- Aber es währte nicht lange, so hört' ich, ganz nah' an meinem Ohre, -- nach einem tiefen Seufzer, nicht den Namen einer Heili- gen, -- den Namen, -- zürnen Sie nicht, meine Mutter -- den Namen Jhrer Tochter! -- Mei- nen Namen! -- O daß laute Donner mich ver- hindert hätten, mehr zu hören! -- Es sprach von Schönheit, von Liebe -- Es klagte, daß dieser Tag, welcher mein Glück mache, -- wenn er es anders
Emilia Galotti. des Laſter uns, wider unſern Willen, zu Mitſchul- digen machen kann! Claudia. Faſſe dich! — Sammle deine Ge- danken, ſo viel dir moͤglich. — Sag’ es mir mit eins, was dir geſchehen. Emilia. Eben hatt’ ich mich! — weiter von dem Altare, als ich ſonſt pflege, — denn ich kam zu ſpaͤt — auf mein Knie gelaſſen. Eben fieng ich an, mein Herz zu erheben: als dicht hinter mir etwas ſeinen Platz nahm. So dicht hinter mir! — Jch konnte weder vor, noch zur Seite ruͤcken, — ſo gern ich auch wollte; aus Furcht, daß eines an- dern Andacht mich in meiner ſtoͤren moͤchte. — Andacht! das war das ſchlimmſte, was ich be- ſorgte. — Aber es waͤhrte nicht lange, ſo hoͤrt’ ich, ganz nah’ an meinem Ohre, — nach einem tiefen Seufzer, nicht den Namen einer Heili- gen, — den Namen, — zuͤrnen Sie nicht, meine Mutter — den Namen Jhrer Tochter! — Mei- nen Namen! — O daß laute Donner mich ver- hindert haͤtten, mehr zu hoͤren! — Es ſprach von Schoͤnheit, von Liebe — Es klagte, daß dieſer Tag, welcher mein Gluͤck mache, — wenn er es anders
<TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <sp who="#EMI"> <p><pb facs="#f0049" n="45"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#g">Emilia Galotti</hi>.</fw><lb/><milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> des Laſter uns, wider unſern Willen, zu Mitſchul-<lb/> digen machen kann!</p> </sp><lb/> <sp who="#CLA"> <speaker> <hi rendition="#fr">Claudia.</hi> </speaker> <p>Faſſe dich! — Sammle deine Ge-<lb/> danken, ſo viel dir moͤglich. — Sag’ es mir mit<lb/> eins, was dir geſchehen.</p> </sp><lb/> <sp who="#EMI"> <speaker> <hi rendition="#fr">Emilia.</hi> </speaker> <p>Eben hatt’ ich mich! — weiter von<lb/> dem Altare, als ich ſonſt pflege, — denn ich kam<lb/> zu ſpaͤt — auf mein Knie gelaſſen. Eben fieng<lb/> ich an, mein Herz zu erheben: als dicht hinter mir<lb/> etwas ſeinen Platz nahm. So dicht hinter mir! —<lb/> Jch konnte weder vor, noch zur Seite ruͤcken, —<lb/> ſo gern ich auch wollte; aus Furcht, daß eines an-<lb/> dern Andacht mich in meiner ſtoͤren moͤchte. —<lb/> Andacht! das war das ſchlimmſte, was ich be-<lb/> ſorgte. — Aber es waͤhrte nicht lange, ſo hoͤrt’<lb/> ich, ganz nah’ an meinem Ohre, — nach einem<lb/> tiefen Seufzer, nicht den Namen einer Heili-<lb/> gen, — den Namen, — zuͤrnen Sie nicht, meine<lb/> Mutter — den Namen Jhrer Tochter! — Mei-<lb/> nen Namen! — O daß laute Donner mich ver-<lb/> hindert haͤtten, mehr zu hoͤren! — Es ſprach von<lb/> Schoͤnheit, von Liebe — Es klagte, daß dieſer<lb/> Tag, welcher mein Gluͤck mache, — wenn er es<lb/> <fw place="bottom" type="catch">anders</fw><lb/></p> </sp> </div> </div> </body> </text> </TEI> [45/0049]
Emilia Galotti.
des Laſter uns, wider unſern Willen, zu Mitſchul-
digen machen kann!
Claudia. Faſſe dich! — Sammle deine Ge-
danken, ſo viel dir moͤglich. — Sag’ es mir mit
eins, was dir geſchehen.
Emilia. Eben hatt’ ich mich! — weiter von
dem Altare, als ich ſonſt pflege, — denn ich kam
zu ſpaͤt — auf mein Knie gelaſſen. Eben fieng
ich an, mein Herz zu erheben: als dicht hinter mir
etwas ſeinen Platz nahm. So dicht hinter mir! —
Jch konnte weder vor, noch zur Seite ruͤcken, —
ſo gern ich auch wollte; aus Furcht, daß eines an-
dern Andacht mich in meiner ſtoͤren moͤchte. —
Andacht! das war das ſchlimmſte, was ich be-
ſorgte. — Aber es waͤhrte nicht lange, ſo hoͤrt’
ich, ganz nah’ an meinem Ohre, — nach einem
tiefen Seufzer, nicht den Namen einer Heili-
gen, — den Namen, — zuͤrnen Sie nicht, meine
Mutter — den Namen Jhrer Tochter! — Mei-
nen Namen! — O daß laute Donner mich ver-
hindert haͤtten, mehr zu hoͤren! — Es ſprach von
Schoͤnheit, von Liebe — Es klagte, daß dieſer
Tag, welcher mein Gluͤck mache, — wenn er es
anders
Suche im WerkInformationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
Voyant Tools ?Language Resource Switchboard?FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |