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Lessing, Gotthold Ephraim: Emilia Galotti. Berlin, 1772.

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Emilia Galotti.


an die Stelle der Liebe? -- Daß heißt, Nichts
an die Stelle von Etwas. Denn lernen Sie,
nachplanderndes Hofmännchen, lernen Sie von
einem Weibe, daß Gleichgültigkeit ein leeres Wort
ein bloßer Schall ist, dem nichts, gar nichts ent-
spricht. Gleichgültig ist die Seele nur gegen das,
woran sie nicht denkt; nur gegen ein Ding, das
für sie kein Ding ist. Und nur gleichgültig für
ein Ding, das kein Ding ist, -- das ist so viel,
als gar nicht gleichgültig. -- Jst dir das zu
hoch, Mensch?
Marinelli. (vor sich) O weh! wie wahr ist es,
was ich fürchtete!
Orsina. Was murmeln Sie da?
Marinelli. Lauter Bewunderung! -- Und
wem ist es nicht bekannt, gnädige Gräfinn, daß
Sie eine Philosophin sind?
Orsina. Nicht wahr? -- Ja, ja; ich bin
eine. -- Aber habe ich mir es itzt merken lassen,
daß ich eine bin? -- O pfuy, wenn ich mir es
habe merken lassen; und wenn ich mir es öfterer
habe merken lassen! Jst es wohl noch Wunder,
daß mich der Prinz verachtet? Wie kann ein
Mann
G 5
Emilia Galotti.


an die Stelle der Liebe? — Daß heißt, Nichts
an die Stelle von Etwas. Denn lernen Sie,
nachplanderndes Hofmaͤnnchen, lernen Sie von
einem Weibe, daß Gleichguͤltigkeit ein leeres Wort
ein bloßer Schall iſt, dem nichts, gar nichts ent-
ſpricht. Gleichguͤltig iſt die Seele nur gegen das,
woran ſie nicht denkt; nur gegen ein Ding, das
fuͤr ſie kein Ding iſt. Und nur gleichguͤltig fuͤr
ein Ding, das kein Ding iſt, — das iſt ſo viel,
als gar nicht gleichguͤltig. — Jſt dir das zu
hoch, Menſch?
Marinelli. (vor ſich) O weh! wie wahr iſt es,
was ich fuͤrchtete!
Orſina. Was murmeln Sie da?
Marinelli. Lauter Bewunderung! — Und
wem iſt es nicht bekannt, gnaͤdige Graͤfinn, daß
Sie eine Philoſophin ſind?
Orſina. Nicht wahr? — Ja, ja; ich bin
eine. — Aber habe ich mir es itzt merken laſſen,
daß ich eine bin? — O pfuy, wenn ich mir es
habe merken laſſen; und wenn ich mir es oͤfterer
habe merken laſſen! Jſt es wohl noch Wunder,
daß mich der Prinz verachtet? Wie kann ein
Mann
G 5
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[105/0109] Emilia Galotti. an die Stelle der Liebe? — Daß heißt, Nichts an die Stelle von Etwas. Denn lernen Sie, nachplanderndes Hofmaͤnnchen, lernen Sie von einem Weibe, daß Gleichguͤltigkeit ein leeres Wort ein bloßer Schall iſt, dem nichts, gar nichts ent- ſpricht. Gleichguͤltig iſt die Seele nur gegen das, woran ſie nicht denkt; nur gegen ein Ding, das fuͤr ſie kein Ding iſt. Und nur gleichguͤltig fuͤr ein Ding, das kein Ding iſt, — das iſt ſo viel, als gar nicht gleichguͤltig. — Jſt dir das zu hoch, Menſch? Marinelli. (vor ſich) O weh! wie wahr iſt es, was ich fuͤrchtete! Orſina. Was murmeln Sie da? Marinelli. Lauter Bewunderung! — Und wem iſt es nicht bekannt, gnaͤdige Graͤfinn, daß Sie eine Philoſophin ſind? Orſina. Nicht wahr? — Ja, ja; ich bin eine. — Aber habe ich mir es itzt merken laſſen, daß ich eine bin? — O pfuy, wenn ich mir es habe merken laſſen; und wenn ich mir es oͤfterer habe merken laſſen! Jſt es wohl noch Wunder, daß mich der Prinz verachtet? Wie kann ein Mann G 5

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Zitationshilfe: Lessing, Gotthold Ephraim: Emilia Galotti. Berlin, 1772, S. 105. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_emilia_1772/109>, abgerufen am 24.11.2024.