zug selbst, wollte Blanca ihr zum Verderben ge- reichen lassen. Sie hatte an ihren Oheim ge- schrieben, welcher, aus Furcht, es möchte ihm wie seinem Bruder, ihrem Vater, ergehen, nach Schottland geflohen war, wo er sich im Verborgnen aufhielt. Der Oheim war gekom- men; und kurz, dieser Oheim war es gewesen, welcher die Königinn in dem Garten ermorden wollen. Nun weiß Essex, und wir mit ihm, wer die Person ist, der er das Leben gerettet hat. Aber Blanca weiß nicht, daß es Essex ist, wel- cher ihren Anschlag vereiteln müssen. Sie rech- net vielmehr auf die unbegrenzte Liebe, deren sie Essex versichert, und wagt es, ihn nicht blos zum Mitschuldigen machen zu wollen, sondern ihm völlig die glücklichere Vollziehung ihrer Rache zu übertragen. Er soll sogleich an ihren Oheim, der wieder nach Schottland geflohen ist, schreiben, und gemeinschaftliche Sache mit ihm machen. Die Tyranninn müsse sterben; ihr Name sey allgemein verhaßt; ihr Tod sey eine Wohlthat für das Vaterland, und niemand ver- diene es mehr als Essex, dem Vaterlande diese Wohlthat zu verschaffen.
Essex ist über diesen Antrag äußerst betroffen. Blanca, seine theure Blanca, kann ihm eine solche Verrätherey zumuthen? Wie sehr schämt er sich, in diesem Augenblicke, seiner Liebe! Aber was soll er thun? Soll er ihr, wie es bil-
lig
zug ſelbſt, wollte Blanca ihr zum Verderben ge- reichen laſſen. Sie hatte an ihren Oheim ge- ſchrieben, welcher, aus Furcht, es möchte ihm wie ſeinem Bruder, ihrem Vater, ergehen, nach Schottland geflohen war, wo er ſich im Verborgnen aufhielt. Der Oheim war gekom- men; und kurz, dieſer Oheim war es geweſen, welcher die Königinn in dem Garten ermorden wollen. Nun weiß Eſſex, und wir mit ihm, wer die Perſon iſt, der er das Leben gerettet hat. Aber Blanca weiß nicht, daß es Eſſex iſt, wel- cher ihren Anſchlag vereiteln müſſen. Sie rech- net vielmehr auf die unbegrenzte Liebe, deren ſie Eſſex verſichert, und wagt es, ihn nicht blos zum Mitſchuldigen machen zu wollen, ſondern ihm völlig die glücklichere Vollziehung ihrer Rache zu übertragen. Er ſoll ſogleich an ihren Oheim, der wieder nach Schottland geflohen iſt, ſchreiben, und gemeinſchaftliche Sache mit ihm machen. Die Tyranninn müſſe ſterben; ihr Name ſey allgemein verhaßt; ihr Tod ſey eine Wohlthat für das Vaterland, und niemand ver- diene es mehr als Eſſex, dem Vaterlande dieſe Wohlthat zu verſchaffen.
Eſſex iſt über dieſen Antrag äußerſt betroffen. Blanca, ſeine theure Blanca, kann ihm eine ſolche Verrätherey zumuthen? Wie ſehr ſchämt er ſich, in dieſem Augenblicke, ſeiner Liebe! Aber was ſoll er thun? Soll er ihr, wie es bil-
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zug ſelbſt, wollte Blanca ihr zum Verderben ge-
reichen laſſen. Sie hatte an ihren Oheim ge-
ſchrieben, welcher, aus Furcht, es möchte ihm
wie ſeinem Bruder, ihrem Vater, ergehen,
nach Schottland geflohen war, wo er ſich im
Verborgnen aufhielt. Der Oheim war gekom-
men; und kurz, dieſer Oheim war es geweſen,
welcher die Königinn in dem Garten ermorden
wollen. Nun weiß Eſſex, und wir mit ihm,
wer die Perſon iſt, der er das Leben gerettet hat.
Aber Blanca weiß nicht, daß es Eſſex iſt, wel-
cher ihren Anſchlag vereiteln müſſen. Sie rech-
net vielmehr auf die unbegrenzte Liebe, deren ſie
Eſſex verſichert, und wagt es, ihn nicht blos
zum Mitſchuldigen machen zu wollen, ſondern
ihm völlig die glücklichere Vollziehung ihrer
Rache zu übertragen. Er ſoll ſogleich an ihren
Oheim, der wieder nach Schottland geflohen iſt,
ſchreiben, und gemeinſchaftliche Sache mit ihm
machen. Die Tyranninn müſſe ſterben; ihr
Name ſey allgemein verhaßt; ihr Tod ſey eine
Wohlthat für das Vaterland, und niemand ver-
diene es mehr als Eſſex, dem Vaterlande dieſe
Wohlthat zu verſchaffen.
Eſſex iſt über dieſen Antrag äußerſt betroffen.
Blanca, ſeine theure Blanca, kann ihm eine
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 66. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/72>, abgerufen am 24.11.2024.
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