tirt sprechen, als sie wollen: seine Königinnen müssen natürlich sprechen. Er höre der Hekuba des Euripides nur fleißig zu; und tröste sich im- mer, wenn er schon sonst keine Königinnen ge- sprochen hat.
Nichts ist züchtiger und anständiger als die simple Natur. Grobheit und Wust ist eben so weit von ihr entfernt, als Schwulst und Bom- bast von dem Erhabnen. Das nehmliche Ge- fühl, welches die Grenzscheidung dort wahr- nimt, wird sie auch hier bemerken. Der schwülstigste Dichter ist daher unfehlbar auch der pöbelhafteste. Beide Fehler sind unzer- trennlich; und keine Gattung giebt mehrere Ge- legenheit in beide zu verfallen, als die Tragödie.
Gleichwohl scheinet die Engländer vornehm- lich nur der eine, in ihrem Banks beleidiget zu haben. Sie tadelten weniger seinen Schwulst, als die pöbelhafte Sprache, die er so edle und in der Geschichte ihres Landes so glänzende Per- sonen führen lasse; und wünschten lange, daß sein Stück von einem Manne, der den tragischen Ausdruck mehr in seiner Gewalt habe, möchte umgearbeitet werden. (*) Dieses geschah end-
lich
(*)(Companion to the Theatre Vol. II. p. 105.) -- The Diction is every where very bad, and in some Places so low, that it even becomes unnatural. -- And I think, there
can-
tirt ſprechen, als ſie wollen: ſeine Königinnen müſſen natürlich ſprechen. Er höre der Hekuba des Euripides nur fleißig zu; und tröſte ſich im- mer, wenn er ſchon ſonſt keine Königinnen ge- ſprochen hat.
Nichts iſt züchtiger und anſtändiger als die ſimple Natur. Grobheit und Wuſt iſt eben ſo weit von ihr entfernt, als Schwulſt und Bom- baſt von dem Erhabnen. Das nehmliche Ge- fühl, welches die Grenzſcheidung dort wahr- nimt, wird ſie auch hier bemerken. Der ſchwülſtigſte Dichter iſt daher unfehlbar auch der pöbelhafteſte. Beide Fehler ſind unzer- trennlich; und keine Gattung giebt mehrere Ge- legenheit in beide zu verfallen, als die Tragödie.
Gleichwohl ſcheinet die Engländer vornehm- lich nur der eine, in ihrem Banks beleidiget zu haben. Sie tadelten weniger ſeinen Schwulſt, als die pöbelhafte Sprache, die er ſo edle und in der Geſchichte ihres Landes ſo glänzende Per- ſonen führen laſſe; und wünſchten lange, daß ſein Stück von einem Manne, der den tragiſchen Ausdruck mehr in ſeiner Gewalt habe, möchte umgearbeitet werden. (*) Dieſes geſchah end-
lich
(*)(Companion to the Theatre Vol. II. p. 105.) — The Diction is every where very bad, and in ſome Places ſo low, that it even becomes unnatural. — And I think, there
can-
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tirt ſprechen, als ſie wollen: ſeine Königinnen
müſſen natürlich ſprechen. Er höre der Hekuba
des Euripides nur fleißig zu; und tröſte ſich im-
mer, wenn er ſchon ſonſt keine Königinnen ge-
ſprochen hat.
Nichts iſt züchtiger und anſtändiger als die
ſimple Natur. Grobheit und Wuſt iſt eben ſo
weit von ihr entfernt, als Schwulſt und Bom-
baſt von dem Erhabnen. Das nehmliche Ge-
fühl, welches die Grenzſcheidung dort wahr-
nimt, wird ſie auch hier bemerken. Der
ſchwülſtigſte Dichter iſt daher unfehlbar auch
der pöbelhafteſte. Beide Fehler ſind unzer-
trennlich; und keine Gattung giebt mehrere Ge-
legenheit in beide zu verfallen, als die Tragödie.
Gleichwohl ſcheinet die Engländer vornehm-
lich nur der eine, in ihrem Banks beleidiget zu
haben. Sie tadelten weniger ſeinen Schwulſt,
als die pöbelhafte Sprache, die er ſo edle und
in der Geſchichte ihres Landes ſo glänzende Per-
ſonen führen laſſe; und wünſchten lange, daß
ſein Stück von einem Manne, der den tragiſchen
Ausdruck mehr in ſeiner Gewalt habe, möchte
umgearbeitet werden. (*) Dieſes geſchah end-
lich
(*) (Companion to the Theatre Vol. II. p. 105.)
— The Diction is every where very bad,
and in ſome Places ſo low, that it even
becomes unnatural. — And I think, there
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 54. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/60>, abgerufen am 09.11.2024.
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