Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite

die Köpfe trefflich geschüttelt haben, wenn sie
gefunden hätten, wie selten ich irgend eines
chronologischen Umstandes gedenke, der künftig
einmal, wenn Millionen anderer Bücher ver-
loren gegangen wären, auf irgend ein histori-
sches Factum einiges Licht werfen könnte. Jn
welchem Jahre Ludewigs des Vierzehnten, oder
Ludewigs des Funfzehnten, ob zu Paris, oder
zu Versailles, ob in Gegenwart der Prinzen
vom Geblüte, oder nicht der Prinzen vom Ge-
blüte, dieses oder jenes französische Meisterstück
zuerst aufgeführet worden: das würden sie bey
mir gesucht, und zu ihrem großen Erstaunen
nicht gefunden haben.

Was sonst diese Blätter werden sollten, dar-
über habe ich mich in der Ankündigung erkläret:
was sie wirklich geworden, das werden meine
Leser wissen. Nicht völlig das, wozu ich sie zu
machen versprach: etwas anderes; aber doch,
denk ich, nichts schlechteres.

"Sie sollten jeden Schritt begleiten, den die
"Kunst, sowohl des Dichters, als des Schau-
"spielers hier thun würde."

Die letztere Hälfte bin ich sehr bald über-
drüßig geworden. Wir haben Schauspieler,
aber keine Schauspielkunst. Wenn es vor Al-
ters eine solche Kunst gegeben hat: so haben wir
sie nicht mehr; sie ist verloren; sie muß ganz
von neuem wieder erfunden werden. Allge-

mei-

die Köpfe trefflich geſchüttelt haben, wenn ſie
gefunden hätten, wie ſelten ich irgend eines
chronologiſchen Umſtandes gedenke, der künftig
einmal, wenn Millionen anderer Bücher ver-
loren gegangen wären, auf irgend ein hiſtori-
ſches Factum einiges Licht werfen könnte. Jn
welchem Jahre Ludewigs des Vierzehnten, oder
Ludewigs des Funfzehnten, ob zu Paris, oder
zu Verſailles, ob in Gegenwart der Prinzen
vom Geblüte, oder nicht der Prinzen vom Ge-
blüte, dieſes oder jenes franzöſiſche Meiſterſtück
zuerſt aufgeführet worden: das würden ſie bey
mir geſucht, und zu ihrem großen Erſtaunen
nicht gefunden haben.

Was ſonſt dieſe Blätter werden ſollten, dar-
über habe ich mich in der Ankündigung erkläret:
was ſie wirklich geworden, das werden meine
Leſer wiſſen. Nicht völlig das, wozu ich ſie zu
machen verſprach: etwas anderes; aber doch,
denk ich, nichts ſchlechteres.

„Sie ſollten jeden Schritt begleiten, den die
„Kunſt, ſowohl des Dichters, als des Schau-
„ſpielers hier thun würde.„

Die letztere Hälfte bin ich ſehr bald über-
drüßig geworden. Wir haben Schauſpieler,
aber keine Schauſpielkunſt. Wenn es vor Al-
ters eine ſolche Kunſt gegeben hat: ſo haben wir
ſie nicht mehr; ſie iſt verloren; ſie muß ganz
von neuem wieder erfunden werden. Allge-

mei-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0398" n="392"/>
die Köpfe trefflich ge&#x017F;chüttelt haben, wenn &#x017F;ie<lb/>
gefunden hätten, wie &#x017F;elten ich irgend eines<lb/>
chronologi&#x017F;chen Um&#x017F;tandes gedenke, der künftig<lb/>
einmal, wenn Millionen anderer Bücher ver-<lb/>
loren gegangen wären, auf irgend ein hi&#x017F;tori-<lb/>
&#x017F;ches Factum einiges Licht werfen könnte. Jn<lb/>
welchem Jahre Ludewigs des Vierzehnten, oder<lb/>
Ludewigs des Funfzehnten, ob zu Paris, oder<lb/>
zu Ver&#x017F;ailles, ob in Gegenwart der Prinzen<lb/>
vom Geblüte, oder nicht der Prinzen vom Ge-<lb/>
blüte, die&#x017F;es oder jenes franzö&#x017F;i&#x017F;che Mei&#x017F;ter&#x017F;tück<lb/>
zuer&#x017F;t aufgeführet worden: das würden &#x017F;ie bey<lb/>
mir ge&#x017F;ucht, und zu ihrem großen Er&#x017F;taunen<lb/>
nicht gefunden haben.</p><lb/>
        <p>Was &#x017F;on&#x017F;t die&#x017F;e Blätter werden &#x017F;ollten, dar-<lb/>
über habe ich mich in der Ankündigung erkläret:<lb/>
was &#x017F;ie wirklich geworden, das werden meine<lb/>
Le&#x017F;er wi&#x017F;&#x017F;en. Nicht völlig das, wozu ich &#x017F;ie zu<lb/>
machen ver&#x017F;prach: etwas anderes; aber doch,<lb/>
denk ich, nichts &#x017F;chlechteres.</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sie &#x017F;ollten jeden Schritt begleiten, den die<lb/>
&#x201E;Kun&#x017F;t, &#x017F;owohl des Dichters, als des Schau-<lb/>
&#x201E;&#x017F;pielers hier thun würde.&#x201E;</p><lb/>
        <p>Die letztere Hälfte bin ich &#x017F;ehr bald über-<lb/>
drüßig geworden. Wir haben Schau&#x017F;pieler,<lb/>
aber keine Schau&#x017F;pielkun&#x017F;t. Wenn es vor Al-<lb/>
ters eine &#x017F;olche Kun&#x017F;t gegeben hat: &#x017F;o haben wir<lb/>
&#x017F;ie nicht mehr; &#x017F;ie i&#x017F;t verloren; &#x017F;ie muß ganz<lb/>
von neuem wieder erfunden werden. Allge-<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">mei-</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[392/0398] die Köpfe trefflich geſchüttelt haben, wenn ſie gefunden hätten, wie ſelten ich irgend eines chronologiſchen Umſtandes gedenke, der künftig einmal, wenn Millionen anderer Bücher ver- loren gegangen wären, auf irgend ein hiſtori- ſches Factum einiges Licht werfen könnte. Jn welchem Jahre Ludewigs des Vierzehnten, oder Ludewigs des Funfzehnten, ob zu Paris, oder zu Verſailles, ob in Gegenwart der Prinzen vom Geblüte, oder nicht der Prinzen vom Ge- blüte, dieſes oder jenes franzöſiſche Meiſterſtück zuerſt aufgeführet worden: das würden ſie bey mir geſucht, und zu ihrem großen Erſtaunen nicht gefunden haben. Was ſonſt dieſe Blätter werden ſollten, dar- über habe ich mich in der Ankündigung erkläret: was ſie wirklich geworden, das werden meine Leſer wiſſen. Nicht völlig das, wozu ich ſie zu machen verſprach: etwas anderes; aber doch, denk ich, nichts ſchlechteres. „Sie ſollten jeden Schritt begleiten, den die „Kunſt, ſowohl des Dichters, als des Schau- „ſpielers hier thun würde.„ Die letztere Hälfte bin ich ſehr bald über- drüßig geworden. Wir haben Schauſpieler, aber keine Schauſpielkunſt. Wenn es vor Al- ters eine ſolche Kunſt gegeben hat: ſo haben wir ſie nicht mehr; ſie iſt verloren; ſie muß ganz von neuem wieder erfunden werden. Allge- mei-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/398
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 392. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/398>, abgerufen am 25.11.2024.