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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

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gern abzehlen; denn es ist der fünfte Akt. Er
wird Anfangs poltern und toben; bald darauf
wird er sich besänftigen lassen, wird sein Unrecht
erkennen und so werden wollen, daß er nie wie-
der zu einer solchen Komödie den Stoff geben
kann: desgleichen wird der ungerathene Sohn
kommen, wird abbitten, wird sich zu bessern
versprechen; kurz, alles wird ein Herz und eine
Seele werden. Den hingegen will ich sehen,
der in dem fünften Akte des Terenz die Wen-
dungen des Dichters errathen kann! Die Jn-
trigue ist längst zu Ende, aber das fortwährende
Spiel der Charaktere läßt es uns kaum bemer-
ken, daß sie zu Ende ist. Keiner verändert sich;
sondern jeder schleift nur dem andern eben so viel
ab, als nöthig ist, ihn gegen den Nachtheil des
Excesses zu verwahren. Der freygebige Micio
wird durch das Manöuvre des geitzigen Demea
dahin gebracht, daß er selbst das Uebermaaß in
seinem Bezeigen erkennet, und fragt:

Quod proluvium? quae istaec subita est
largitas?

So wie umgekehrt der strenge Demea durch das
Manöuvre des nachsichtsvollen Micio endlich
erkennet, daß es nicht genug ist, nur immer zu
tadeln und zu bestrafen, sondern es auch gut sey,
obsecundare in loco. --

Noch
A a a 2

gern abzehlen; denn es iſt der fünfte Akt. Er
wird Anfangs poltern und toben; bald darauf
wird er ſich beſänftigen laſſen, wird ſein Unrecht
erkennen und ſo werden wollen, daß er nie wie-
der zu einer ſolchen Komödie den Stoff geben
kann: desgleichen wird der ungerathene Sohn
kommen, wird abbitten, wird ſich zu beſſern
verſprechen; kurz, alles wird ein Herz und eine
Seele werden. Den hingegen will ich ſehen,
der in dem fünften Akte des Terenz die Wen-
dungen des Dichters errathen kann! Die Jn-
trigue iſt längſt zu Ende, aber das fortwährende
Spiel der Charaktere läßt es uns kaum bemer-
ken, daß ſie zu Ende iſt. Keiner verändert ſich;
ſondern jeder ſchleift nur dem andern eben ſo viel
ab, als nöthig iſt, ihn gegen den Nachtheil des
Exceſſes zu verwahren. Der freygebige Micio
wird durch das Manöuvre des geitzigen Demea
dahin gebracht, daß er ſelbſt das Uebermaaß in
ſeinem Bezeigen erkennet, und fragt:

Quod proluvium? quæ iſtæc ſubita eſt
largitas?

So wie umgekehrt der ſtrenge Demea durch das
Manöuvre des nachſichtsvollen Micio endlich
erkennet, daß es nicht genug iſt, nur immer zu
tadeln und zu beſtrafen, ſondern es auch gut ſey,
obſecundare in loco.

Noch
A a a 2
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[371/0377] gern abzehlen; denn es iſt der fünfte Akt. Er wird Anfangs poltern und toben; bald darauf wird er ſich beſänftigen laſſen, wird ſein Unrecht erkennen und ſo werden wollen, daß er nie wie- der zu einer ſolchen Komödie den Stoff geben kann: desgleichen wird der ungerathene Sohn kommen, wird abbitten, wird ſich zu beſſern verſprechen; kurz, alles wird ein Herz und eine Seele werden. Den hingegen will ich ſehen, der in dem fünften Akte des Terenz die Wen- dungen des Dichters errathen kann! Die Jn- trigue iſt längſt zu Ende, aber das fortwährende Spiel der Charaktere läßt es uns kaum bemer- ken, daß ſie zu Ende iſt. Keiner verändert ſich; ſondern jeder ſchleift nur dem andern eben ſo viel ab, als nöthig iſt, ihn gegen den Nachtheil des Exceſſes zu verwahren. Der freygebige Micio wird durch das Manöuvre des geitzigen Demea dahin gebracht, daß er ſelbſt das Uebermaaß in ſeinem Bezeigen erkennet, und fragt: Quod proluvium? quæ iſtæc ſubita eſt largitas? So wie umgekehrt der ſtrenge Demea durch das Manöuvre des nachſichtsvollen Micio endlich erkennet, daß es nicht genug iſt, nur immer zu tadeln und zu beſtrafen, ſondern es auch gut ſey, obſecundare in loco. — Noch A a a 2

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 371. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/377>, abgerufen am 25.11.2024.