Denn nicht allein die beiden Alten, Micio und Demea, sondern auch die beiden jungen Leute, Aeschinus und Ktesipho, sind Brüder. Demea ist dieser beider Vater; Micio hat den einen, den Aeschinus, nur an Sohnes Statt angenom- men. Nun begreif ich nicht, warum unserm Verfasser diese Adoption mißfallen. Jch weis nicht anders, als daß die Adoption auch unter uns, auch noch itzt gebräuchlich, und vollkom- men auf den nehmlichen Fuß gebräuchlich ist, wie sie es bey den Römern war. Dem ohnge- achtet ist er davon abgegangen: bey ihm sind nur die zwey Alten Brüder, und jeder hat einen leiblichen Sohn, den er nach seiner Art erziehet. Aber, desto besser! wird man vielleicht sagen. So sind denn auch die zwey Alte wirkliche Vä- ter; und das Stück ist wirklich eine Schule der Väter, d. i. solcher, denen die Natur die vä- terliche Pflicht aufgelegt, nicht solcher, die sie freywillig zwar übernommen, die sich ihrer aber schwerlich weiter unterziehen, als es mit ihrer eignen Gemächlichkeit bestehen kann.
Pater esse disce ab illis, qui vere sciunt!
Sehr wohl! Nur Schade, daß durch Auflö- sung dieses einzigen Knoten, welcher bey dem Terenz den Aeschinus und Ktesipho unter sich, und beide mit dem Demea, ihrem Vater, ver-
bindet,
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Denn nicht allein die beiden Alten, Micio und Demea, ſondern auch die beiden jungen Leute, Aeſchinus und Kteſipho, ſind Brüder. Demea iſt dieſer beider Vater; Micio hat den einen, den Aeſchinus, nur an Sohnes Statt angenom- men. Nun begreif ich nicht, warum unſerm Verfaſſer dieſe Adoption mißfallen. Jch weis nicht anders, als daß die Adoption auch unter uns, auch noch itzt gebräuchlich, und vollkom- men auf den nehmlichen Fuß gebräuchlich iſt, wie ſie es bey den Römern war. Dem ohnge- achtet iſt er davon abgegangen: bey ihm ſind nur die zwey Alten Brüder, und jeder hat einen leiblichen Sohn, den er nach ſeiner Art erziehet. Aber, deſto beſſer! wird man vielleicht ſagen. So ſind denn auch die zwey Alte wirkliche Vä- ter; und das Stück iſt wirklich eine Schule der Väter, d. i. ſolcher, denen die Natur die vä- terliche Pflicht aufgelegt, nicht ſolcher, die ſie freywillig zwar übernommen, die ſich ihrer aber ſchwerlich weiter unterziehen, als es mit ihrer eignen Gemächlichkeit beſtehen kann.
Pater eſſe diſce ab illis, qui vere ſciunt!
Sehr wohl! Nur Schade, daß durch Auflö- ſung dieſes einzigen Knoten, welcher bey dem Terenz den Aeſchinus und Kteſipho unter ſich, und beide mit dem Demea, ihrem Vater, ver-
bindet,
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Denn nicht allein die beiden Alten, Micio und
Demea, ſondern auch die beiden jungen Leute,
Aeſchinus und Kteſipho, ſind Brüder. Demea
iſt dieſer beider Vater; Micio hat den einen,
den Aeſchinus, nur an Sohnes Statt angenom-
men. Nun begreif ich nicht, warum unſerm
Verfaſſer dieſe Adoption mißfallen. Jch weis
nicht anders, als daß die Adoption auch unter
uns, auch noch itzt gebräuchlich, und vollkom-
men auf den nehmlichen Fuß gebräuchlich iſt,
wie ſie es bey den Römern war. Dem ohnge-
achtet iſt er davon abgegangen: bey ihm ſind
nur die zwey Alten Brüder, und jeder hat einen
leiblichen Sohn, den er nach ſeiner Art erziehet.
Aber, deſto beſſer! wird man vielleicht ſagen.
So ſind denn auch die zwey Alte wirkliche Vä-
ter; und das Stück iſt wirklich eine Schule der
Väter, d. i. ſolcher, denen die Natur die vä-
terliche Pflicht aufgelegt, nicht ſolcher, die ſie
freywillig zwar übernommen, die ſich ihrer aber
ſchwerlich weiter unterziehen, als es mit ihrer
eignen Gemächlichkeit beſtehen kann.
Pater eſſe diſce ab illis, qui vere
ſciunt!
Sehr wohl! Nur Schade, daß durch Auflö-
ſung dieſes einzigen Knoten, welcher bey dem
Terenz den Aeſchinus und Kteſipho unter ſich,
und beide mit dem Demea, ihrem Vater, ver-
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 357. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/363>, abgerufen am 18.12.2024.
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