möglich zu erleichtern, seine Kräfte nicht an Nebenzwecke zu verschwenden, sondern sie ganz für den Hauptzweck zu sparen. Auch ihm kömmt auf die Jllusion des Zuschauers alles an. -- Man wird vielleicht hierauf antworten, daß die Tragödie der Sitten nicht groß bedürfe; daß sie ihrer ganz und gar entübriget seyn könne. Aber sonach braucht sie auch keine fremde Sit- ten; und von dem Wenigen, was sie von Sitten haben und zeigen will, wird es doch immer bes- ser seyn, wenn es von einheimischen Sitten her- genommen ist, als von fremden.
Die Griechen wenigstens haben nie andere als ihre eigene Sitten, nicht blos in der Ko- mödie, sondern auch in der Tragödie, zum Grunde gelegt. Ja sie haben fremden Völ- kern, aus deren Geschichte sie den Stoff ihrer Tragödie etwa einmal entlehnten, lieber ihre eigenen griechischen Sitten leihen, als die Wir- kungen der Bühne durch unverständliche barba- rische Sitten entkräften wollen. Auf das Co- stume, welches unsern tragischen Dichtern so ängstlich empfohlen wird, hielten sie wenig oder nichts. Der Beweis hiervon können vornehm- lich die Perserinnen des Aeschylus seyn; und die Ursache, warum sie sich so wenig an das Costume binden zu dürfen glaubten, ist aus der Absicht der Tragödie leicht zu folgern.
Doch
Y y 2
möglich zu erleichtern, ſeine Kräfte nicht an Nebenzwecke zu verſchwenden, ſondern ſie ganz für den Hauptzweck zu ſparen. Auch ihm kömmt auf die Jlluſion des Zuſchauers alles an. — Man wird vielleicht hierauf antworten, daß die Tragödie der Sitten nicht groß bedürfe; daß ſie ihrer ganz und gar entübriget ſeyn könne. Aber ſonach braucht ſie auch keine fremde Sit- ten; und von dem Wenigen, was ſie von Sitten haben und zeigen will, wird es doch immer beſ- ſer ſeyn, wenn es von einheimiſchen Sitten her- genommen iſt, als von fremden.
Die Griechen wenigſtens haben nie andere als ihre eigene Sitten, nicht blos in der Ko- mödie, ſondern auch in der Tragödie, zum Grunde gelegt. Ja ſie haben fremden Völ- kern, aus deren Geſchichte ſie den Stoff ihrer Tragödie etwa einmal entlehnten, lieber ihre eigenen griechiſchen Sitten leihen, als die Wir- kungen der Bühne durch unverſtändliche barba- riſche Sitten entkräften wollen. Auf das Co- ſtume, welches unſern tragiſchen Dichtern ſo ängſtlich empfohlen wird, hielten ſie wenig oder nichts. Der Beweis hiervon können vornehm- lich die Perſerinnen des Aeſchylus ſeyn; und die Urſache, warum ſie ſich ſo wenig an das Coſtume binden zu dürfen glaubten, iſt aus der Abſicht der Tragödie leicht zu folgern.
Doch
Y y 2
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0361"n="355"/>
möglich zu erleichtern, ſeine Kräfte nicht an<lb/>
Nebenzwecke zu verſchwenden, ſondern ſie ganz<lb/>
für den Hauptzweck zu ſparen. Auch ihm<lb/>
kömmt auf die Jlluſion des Zuſchauers alles<lb/>
an. — Man wird vielleicht hierauf antworten,<lb/>
daß die Tragödie der Sitten nicht groß bedürfe;<lb/>
daß ſie ihrer ganz und gar entübriget ſeyn könne.<lb/>
Aber ſonach braucht ſie auch keine fremde Sit-<lb/>
ten; und von dem Wenigen, was ſie von Sitten<lb/>
haben und zeigen will, wird es doch immer beſ-<lb/>ſer ſeyn, wenn es von einheimiſchen Sitten her-<lb/>
genommen iſt, als von fremden.</p><lb/><p>Die Griechen wenigſtens haben nie andere<lb/>
als ihre eigene Sitten, nicht blos in der Ko-<lb/>
mödie, ſondern auch in der Tragödie, zum<lb/>
Grunde gelegt. Ja ſie haben fremden Völ-<lb/>
kern, aus deren Geſchichte ſie den Stoff ihrer<lb/>
Tragödie etwa einmal entlehnten, lieber ihre<lb/>
eigenen griechiſchen Sitten leihen, als die Wir-<lb/>
kungen der Bühne durch unverſtändliche barba-<lb/>
riſche Sitten entkräften wollen. Auf das Co-<lb/>ſtume, welches unſern tragiſchen Dichtern ſo<lb/>
ängſtlich empfohlen wird, hielten ſie wenig oder<lb/>
nichts. Der Beweis hiervon können vornehm-<lb/>
lich die Perſerinnen des Aeſchylus ſeyn; und<lb/>
die Urſache, warum ſie ſich ſo wenig an das<lb/>
Coſtume binden zu dürfen glaubten, iſt aus der<lb/>
Abſicht der Tragödie leicht zu folgern.</p><lb/><fwplace="bottom"type="sig">Y y 2</fw><fwplace="bottom"type="catch">Doch</fw><lb/></div></body></text></TEI>
[355/0361]
möglich zu erleichtern, ſeine Kräfte nicht an
Nebenzwecke zu verſchwenden, ſondern ſie ganz
für den Hauptzweck zu ſparen. Auch ihm
kömmt auf die Jlluſion des Zuſchauers alles
an. — Man wird vielleicht hierauf antworten,
daß die Tragödie der Sitten nicht groß bedürfe;
daß ſie ihrer ganz und gar entübriget ſeyn könne.
Aber ſonach braucht ſie auch keine fremde Sit-
ten; und von dem Wenigen, was ſie von Sitten
haben und zeigen will, wird es doch immer beſ-
ſer ſeyn, wenn es von einheimiſchen Sitten her-
genommen iſt, als von fremden.
Die Griechen wenigſtens haben nie andere
als ihre eigene Sitten, nicht blos in der Ko-
mödie, ſondern auch in der Tragödie, zum
Grunde gelegt. Ja ſie haben fremden Völ-
kern, aus deren Geſchichte ſie den Stoff ihrer
Tragödie etwa einmal entlehnten, lieber ihre
eigenen griechiſchen Sitten leihen, als die Wir-
kungen der Bühne durch unverſtändliche barba-
riſche Sitten entkräften wollen. Auf das Co-
ſtume, welches unſern tragiſchen Dichtern ſo
ängſtlich empfohlen wird, hielten ſie wenig oder
nichts. Der Beweis hiervon können vornehm-
lich die Perſerinnen des Aeſchylus ſeyn; und
die Urſache, warum ſie ſich ſo wenig an das
Coſtume binden zu dürfen glaubten, iſt aus der
Abſicht der Tragödie leicht zu folgern.
Doch
Y y 2
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 355. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/361>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.