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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

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gegnung nach sich ziehen müsse, in die Gedanken
geschossen, und ihn mit Erwartung und Furcht
erfüllet? Gleichwohl soll ein Vorfall, der alle
diese Wirkung auf ihn hat, nicht tragisch seyn?

Wenn jemals bey dieser Ohrfeige gelacht wor-
den, so war es sicherlich von einem auf der Gal-
lerie, der mit den Ohrfeigen zu bekannt war,
und eben itzt eine von seinem Nachbar verdient
hätte. Wen aber die ungeschickte Art, mit der
sich der Schauspieler etwa dabey betrug, wi-
der Willen zu lächeln machte, der biß sich ge-
schwind in die Lippe, und eilte, sich wieder in
die Täuschung zu versetzen, aus der fast jede ge-
waltsamere Handlung den Zuschauer mehr oder
weniger zu bringen pflegt.

Auch frage ich, welche andere Beleidigung
wohl die Stelle der Ohrfeige vertreten könnte?
Für jede andere würde es in der Macht des Kö-
nigs stehen, dem Beleidigten Genugthuung zu
schaffen; für jede andere würde sich der Sohn
weigern dürfen, seinem Vater den Vater seiner
Geliebten aufzuopfern. Für diese einzige läßt
das Pundonor weder Entschuldigung noch Ab-
bitte gelten; und alle gütliche Wege, die selbst
der Monarch dabey einleiten will, sind frucht-
los. Corneille ließ nach dieser Denkungsart
den Gormas, wenn ihn der König andeuten
läßt, den Diego zufrieden zu stellen, sehr wohl
antworten:

Ces
D 3

gegnung nach ſich ziehen müſſe, in die Gedanken
geſchoſſen, und ihn mit Erwartung und Furcht
erfüllet? Gleichwohl ſoll ein Vorfall, der alle
dieſe Wirkung auf ihn hat, nicht tragiſch ſeyn?

Wenn jemals bey dieſer Ohrfeige gelacht wor-
den, ſo war es ſicherlich von einem auf der Gal-
lerie, der mit den Ohrfeigen zu bekannt war,
und eben itzt eine von ſeinem Nachbar verdient
hätte. Wen aber die ungeſchickte Art, mit der
ſich der Schauſpieler etwa dabey betrug, wi-
der Willen zu lächeln machte, der biß ſich ge-
ſchwind in die Lippe, und eilte, ſich wieder in
die Täuſchung zu verſetzen, aus der faſt jede ge-
waltſamere Handlung den Zuſchauer mehr oder
weniger zu bringen pflegt.

Auch frage ich, welche andere Beleidigung
wohl die Stelle der Ohrfeige vertreten könnte?
Für jede andere würde es in der Macht des Kö-
nigs ſtehen, dem Beleidigten Genugthuung zu
ſchaffen; für jede andere würde ſich der Sohn
weigern dürfen, ſeinem Vater den Vater ſeiner
Geliebten aufzuopfern. Für dieſe einzige läßt
das Pundonor weder Entſchuldigung noch Ab-
bitte gelten; und alle gütliche Wege, die ſelbſt
der Monarch dabey einleiten will, ſind frucht-
los. Corneille ließ nach dieſer Denkungsart
den Gormas, wenn ihn der König andeuten
läßt, den Diego zufrieden zu ſtellen, ſehr wohl
antworten:

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[29/0035] gegnung nach ſich ziehen müſſe, in die Gedanken geſchoſſen, und ihn mit Erwartung und Furcht erfüllet? Gleichwohl ſoll ein Vorfall, der alle dieſe Wirkung auf ihn hat, nicht tragiſch ſeyn? Wenn jemals bey dieſer Ohrfeige gelacht wor- den, ſo war es ſicherlich von einem auf der Gal- lerie, der mit den Ohrfeigen zu bekannt war, und eben itzt eine von ſeinem Nachbar verdient hätte. Wen aber die ungeſchickte Art, mit der ſich der Schauſpieler etwa dabey betrug, wi- der Willen zu lächeln machte, der biß ſich ge- ſchwind in die Lippe, und eilte, ſich wieder in die Täuſchung zu verſetzen, aus der faſt jede ge- waltſamere Handlung den Zuſchauer mehr oder weniger zu bringen pflegt. Auch frage ich, welche andere Beleidigung wohl die Stelle der Ohrfeige vertreten könnte? Für jede andere würde es in der Macht des Kö- nigs ſtehen, dem Beleidigten Genugthuung zu ſchaffen; für jede andere würde ſich der Sohn weigern dürfen, ſeinem Vater den Vater ſeiner Geliebten aufzuopfern. Für dieſe einzige läßt das Pundonor weder Entſchuldigung noch Ab- bitte gelten; und alle gütliche Wege, die ſelbſt der Monarch dabey einleiten will, ſind frucht- los. Corneille ließ nach dieſer Denkungsart den Gormas, wenn ihn der König andeuten läßt, den Diego zufrieden zu ſtellen, ſehr wohl antworten: Ces D 3

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Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 29. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/35>, abgerufen am 21.11.2024.