"Die Schauspieler, sagt der Herr von Vol- taire, wissen nicht, wie sie sich dabey anstellen sollen." Sie wüßten es wohl; aber man will eine Ohrfeige auch nicht einmal gern im fremden Namen haben. Der Schlag setzt sie in Feuer; die Person erhält ihn, aber sie fühlen ihn; das Gefühl hebt die Verstellung auf; sie gerathen aus ihrer Fassung; Scham und Verwirrung äußert sich wider Willen auf ihrem Gesichte; sie sollten zornig aussehen, und sie sehen albern aus; und jeder Schauspieler, dessen eigene Em- pfindungen mit seiner Rolle in Collision kommen, macht uns zu lachen.
Es ist dieses nicht der einzige Fall, in wel- chem man die Abschaffung der Mas ken betauern möchte. Der Schauspieler kann ohnstreitig unter der Maske mehr Contenance halten; seine Person findet weniger Gelegenheit auszubre- chen; und wenn sie ja ausbricht, so werden wir diesen Ausbruch weniger gewahr.
Doch der Schauspieler verhalte sich bey der Ohrfeige, wie er will: der dramatische Dichter arbeitet zwar für den Schauspieler, aber er muß sich darum nicht alles versagen, was diesem we- niger thulich und bequem ist. Kein Schauspie- ler kann roth werden, wenn er will: aber gleich- wohl darf es ihm der Dichter vorschreiben; gleichwohl darf er den einen sagen lassen, daß er es den andern werden sieht. Der Schau-
spieler
„Die Schauſpieler, ſagt der Herr von Vol- taire, wiſſen nicht, wie ſie ſich dabey anſtellen ſollen.„ Sie wüßten es wohl; aber man will eine Ohrfeige auch nicht einmal gern im fremden Namen haben. Der Schlag ſetzt ſie in Feuer; die Perſon erhält ihn, aber ſie fühlen ihn; das Gefühl hebt die Verſtellung auf; ſie gerathen aus ihrer Faſſung; Scham und Verwirrung äußert ſich wider Willen auf ihrem Geſichte; ſie ſollten zornig ausſehen, und ſie ſehen albern aus; und jeder Schauſpieler, deſſen eigene Em- pfindungen mit ſeiner Rolle in Colliſion kommen, macht uns zu lachen.
Es iſt dieſes nicht der einzige Fall, in wel- chem man die Abſchaffung der Maſ ken betauern möchte. Der Schauſpieler kann ohnſtreitig unter der Maſke mehr Contenance halten; ſeine Perſon findet weniger Gelegenheit auszubre- chen; und wenn ſie ja ausbricht, ſo werden wir dieſen Ausbruch weniger gewahr.
Doch der Schauſpieler verhalte ſich bey der Ohrfeige, wie er will: der dramatiſche Dichter arbeitet zwar für den Schauſpieler, aber er muß ſich darum nicht alles verſagen, was dieſem we- niger thulich und bequem iſt. Kein Schauſpie- ler kann roth werden, wenn er will: aber gleich- wohl darf es ihm der Dichter vorſchreiben; gleichwohl darf er den einen ſagen laſſen, daß er es den andern werden ſieht. Der Schau-
ſpieler
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„Die Schauſpieler, ſagt der Herr von Vol-
taire, wiſſen nicht, wie ſie ſich dabey anſtellen
ſollen.„ Sie wüßten es wohl; aber man will
eine Ohrfeige auch nicht einmal gern im fremden
Namen haben. Der Schlag ſetzt ſie in Feuer;
die Perſon erhält ihn, aber ſie fühlen ihn; das
Gefühl hebt die Verſtellung auf; ſie gerathen
aus ihrer Faſſung; Scham und Verwirrung
äußert ſich wider Willen auf ihrem Geſichte;
ſie ſollten zornig ausſehen, und ſie ſehen albern
aus; und jeder Schauſpieler, deſſen eigene Em-
pfindungen mit ſeiner Rolle in Colliſion kommen,
macht uns zu lachen.
Es iſt dieſes nicht der einzige Fall, in wel-
chem man die Abſchaffung der Maſ ken betauern
möchte. Der Schauſpieler kann ohnſtreitig
unter der Maſke mehr Contenance halten; ſeine
Perſon findet weniger Gelegenheit auszubre-
chen; und wenn ſie ja ausbricht, ſo werden wir
dieſen Ausbruch weniger gewahr.
Doch der Schauſpieler verhalte ſich bey der
Ohrfeige, wie er will: der dramatiſche Dichter
arbeitet zwar für den Schauſpieler, aber er muß
ſich darum nicht alles verſagen, was dieſem we-
niger thulich und bequem iſt. Kein Schauſpie-
ler kann roth werden, wenn er will: aber gleich-
wohl darf es ihm der Dichter vorſchreiben;
gleichwohl darf er den einen ſagen laſſen, daß
er es den andern werden ſieht. Der Schau-
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 26. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/32>, abgerufen am 09.11.2024.
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