Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769].

Bild:
<< vorherige Seite

so wahr, daß derjenige tragische Dichter, wel-
cher nur den und den Menschen, nur den Cä-
sar, nur den Cato, nach allen den Eigenthüm-
lichkeiten, die wir von ihnen wissen, vorstellen
wollte, ohne zugleich zu zeigen, wie alle diese
Eigenthümlichkeiten mit dem Charakter des Cä-
sar und Cato zusammen gehangen, der ihnen
mit mehrern kann gemein seyn, daß, sage ich,
dieser die Tragödie entkräften und zur Geschichte
erniedrigen würde.

Aber Aristoteles sagt auch, daß die Poesie
auf dieses Allgemeine der Personen mit den Na-
men, die sie ihnen ertheile, ziele, (ou` stokhazetai
e poiesis onomata epitithemene;) welches sich
besonders bey der Komödie deutlich gezeigt habe.
Und dieses ist es, was die Ausleger dem Aristo-
teles nach zu sagen sich begnügt, im geringsten
aber nicht erläutert haben. Wohl aber haben
verschiedene sich so darüber ausgedrückt, daß
man klar sieht, sie müssen entweder nichts, oder
etwas ganz falsches dabey gedacht haben. Die
Frage ist: wie sieht die Poesie, wenn sie ihren
Personen Namen ertheilt, auf das Allgemeine
dieser Personen? und wie ist diese ihre Rücksicht
auf das Allgemeine der Person, besonders bey
der Komödie, schon längst sichtbar gewesen?

Die Worte: esti de katholou men, to poio
ta poi atta sumbainei legein, e prattein
kata to eikos, e to anagkaion, ou` stokhaze-

tai
O o 3

ſo wahr, daß derjenige tragiſche Dichter, wel-
cher nur den und den Menſchen, nur den Cä-
ſar, nur den Cato, nach allen den Eigenthüm-
lichkeiten, die wir von ihnen wiſſen, vorſtellen
wollte, ohne zugleich zu zeigen, wie alle dieſe
Eigenthümlichkeiten mit dem Charakter des Cä-
ſar und Cato zuſammen gehangen, der ihnen
mit mehrern kann gemein ſeyn, daß, ſage ich,
dieſer die Tragödie entkräften und zur Geſchichte
erniedrigen würde.

Aber Ariſtoteles ſagt auch, daß die Poeſie
auf dieſes Allgemeine der Perſonen mit den Na-
men, die ſie ihnen ertheile, ziele, (ου῾ ϛοχαζεται
ἡ ποιησις ὀνοματα επιτιϑεμενη;) welches ſich
beſonders bey der Komödie deutlich gezeigt habe.
Und dieſes iſt es, was die Ausleger dem Ariſto-
teles nach zu ſagen ſich begnügt, im geringſten
aber nicht erläutert haben. Wohl aber haben
verſchiedene ſich ſo darüber ausgedrückt, daß
man klar ſieht, ſie müſſen entweder nichts, oder
etwas ganz falſches dabey gedacht haben. Die
Frage iſt: wie ſieht die Poeſie, wenn ſie ihren
Perſonen Namen ertheilt, auf das Allgemeine
dieſer Perſonen? und wie iſt dieſe ihre Rückſicht
auf das Allgemeine der Perſon, beſonders bey
der Komödie, ſchon längſt ſichtbar geweſen?

Die Worte: ἐϛι δε ϰαϑολου μεν, τῳ ποιῳ
τα ποἰ ἀττα συμβαινει λεγειν, ἠ πραττειν
ϰατα το εἰϰος, ἠ το ἀναγϰαιον, ου῾ ϛοχαζε-

ται
O o 3
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0299" n="293"/>
&#x017F;o wahr, daß derjenige tragi&#x017F;che Dichter, wel-<lb/>
cher nur den und den Men&#x017F;chen, nur den Cä-<lb/>
&#x017F;ar, nur den Cato, nach allen den Eigenthüm-<lb/>
lichkeiten, die wir von ihnen wi&#x017F;&#x017F;en, vor&#x017F;tellen<lb/>
wollte, ohne zugleich zu zeigen, wie alle die&#x017F;e<lb/>
Eigenthümlichkeiten mit dem Charakter des Cä-<lb/>
&#x017F;ar und Cato zu&#x017F;ammen gehangen, der ihnen<lb/>
mit mehrern kann gemein &#x017F;eyn, daß, &#x017F;age ich,<lb/>
die&#x017F;er die Tragödie entkräften und zur Ge&#x017F;chichte<lb/>
erniedrigen würde.</p><lb/>
        <p>Aber Ari&#x017F;toteles &#x017F;agt auch, daß die Poe&#x017F;ie<lb/>
auf die&#x017F;es Allgemeine der Per&#x017F;onen mit den Na-<lb/>
men, die &#x017F;ie ihnen ertheile, ziele, (&#x03BF;&#x03C5;&#x1FFE; &#x03DB;&#x03BF;&#x03C7;&#x03B1;&#x03B6;&#x03B5;&#x03C4;&#x03B1;&#x03B9;<lb/>
&#x1F21; &#x03C0;&#x03BF;&#x03B9;&#x03B7;&#x03C3;&#x03B9;&#x03C2; &#x1F40;&#x03BD;&#x03BF;&#x03BC;&#x03B1;&#x03C4;&#x03B1; &#x03B5;&#x03C0;&#x03B9;&#x03C4;&#x03B9;&#x03D1;&#x03B5;&#x03BC;&#x03B5;&#x03BD;&#x03B7;;) welches &#x017F;ich<lb/>
be&#x017F;onders bey der Komödie deutlich gezeigt habe.<lb/>
Und die&#x017F;es i&#x017F;t es, was die Ausleger dem Ari&#x017F;to-<lb/>
teles nach zu &#x017F;agen &#x017F;ich begnügt, im gering&#x017F;ten<lb/>
aber nicht erläutert haben. Wohl aber haben<lb/>
ver&#x017F;chiedene &#x017F;ich &#x017F;o darüber ausgedrückt, daß<lb/>
man klar &#x017F;ieht, &#x017F;ie mü&#x017F;&#x017F;en entweder nichts, oder<lb/>
etwas ganz fal&#x017F;ches dabey gedacht haben. Die<lb/>
Frage i&#x017F;t: wie &#x017F;ieht die Poe&#x017F;ie, wenn &#x017F;ie ihren<lb/>
Per&#x017F;onen Namen ertheilt, auf das Allgemeine<lb/>
die&#x017F;er Per&#x017F;onen? und wie i&#x017F;t die&#x017F;e ihre Rück&#x017F;icht<lb/>
auf das Allgemeine der Per&#x017F;on, be&#x017F;onders bey<lb/>
der Komödie, &#x017F;chon läng&#x017F;t &#x017F;ichtbar gewe&#x017F;en?</p><lb/>
        <p>Die Worte: &#x1F10;&#x03DB;&#x03B9; &#x03B4;&#x03B5; &#x03F0;&#x03B1;&#x03D1;&#x03BF;&#x03BB;&#x03BF;&#x03C5; &#x03BC;&#x03B5;&#x03BD;, &#x03C4;&#x1FF3; &#x03C0;&#x03BF;&#x03B9;&#x1FF3;<lb/>
&#x03C4;&#x03B1; &#x03C0;&#x03BF;&#x1F30; &#x1F00;&#x03C4;&#x03C4;&#x03B1; &#x03C3;&#x03C5;&#x03BC;&#x03B2;&#x03B1;&#x03B9;&#x03BD;&#x03B5;&#x03B9; &#x03BB;&#x03B5;&#x03B3;&#x03B5;&#x03B9;&#x03BD;, &#x1F20; &#x03C0;&#x03C1;&#x03B1;&#x03C4;&#x03C4;&#x03B5;&#x03B9;&#x03BD;<lb/>
&#x03F0;&#x03B1;&#x03C4;&#x03B1; &#x03C4;&#x03BF; &#x03B5;&#x1F30;&#x03F0;&#x03BF;&#x03C2;, &#x1F20; &#x03C4;&#x03BF; &#x1F00;&#x03BD;&#x03B1;&#x03B3;&#x03F0;&#x03B1;&#x03B9;&#x03BF;&#x03BD;, &#x03BF;&#x03C5;&#x1FFE; &#x03DB;&#x03BF;&#x03C7;&#x03B1;&#x03B6;&#x03B5;-<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">O o 3</fw><fw place="bottom" type="catch">&#x03C4;&#x03B1;&#x03B9;</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[293/0299] ſo wahr, daß derjenige tragiſche Dichter, wel- cher nur den und den Menſchen, nur den Cä- ſar, nur den Cato, nach allen den Eigenthüm- lichkeiten, die wir von ihnen wiſſen, vorſtellen wollte, ohne zugleich zu zeigen, wie alle dieſe Eigenthümlichkeiten mit dem Charakter des Cä- ſar und Cato zuſammen gehangen, der ihnen mit mehrern kann gemein ſeyn, daß, ſage ich, dieſer die Tragödie entkräften und zur Geſchichte erniedrigen würde. Aber Ariſtoteles ſagt auch, daß die Poeſie auf dieſes Allgemeine der Perſonen mit den Na- men, die ſie ihnen ertheile, ziele, (ου῾ ϛοχαζεται ἡ ποιησις ὀνοματα επιτιϑεμενη;) welches ſich beſonders bey der Komödie deutlich gezeigt habe. Und dieſes iſt es, was die Ausleger dem Ariſto- teles nach zu ſagen ſich begnügt, im geringſten aber nicht erläutert haben. Wohl aber haben verſchiedene ſich ſo darüber ausgedrückt, daß man klar ſieht, ſie müſſen entweder nichts, oder etwas ganz falſches dabey gedacht haben. Die Frage iſt: wie ſieht die Poeſie, wenn ſie ihren Perſonen Namen ertheilt, auf das Allgemeine dieſer Perſonen? und wie iſt dieſe ihre Rückſicht auf das Allgemeine der Perſon, beſonders bey der Komödie, ſchon längſt ſichtbar geweſen? Die Worte: ἐϛι δε ϰαϑολου μεν, τῳ ποιῳ τα ποἰ ἀττα συμβαινει λεγειν, ἠ πραττειν ϰατα το εἰϰος, ἠ το ἀναγϰαιον, ου῾ ϛοχαζε- ται O o 3

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/299
Zitationshilfe: [Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 293. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/299>, abgerufen am 22.11.2024.