rakter entfallen seyn. Der fruchtbarste Kopf schreibt sich leer; und wenn die Einbildungs- kraft sich keiner wirklichen Gegenstände der Nach- ahmung mehr erinnern kann, so componirt sie deren selbst, welches denn freylich meistens Car- rikaturen werden. Dazu will Diderot bemerkt haben, daß schon Horaz, der einen so besonders zärtlichen Geschmack hatte, den Fehler, wovon die Rede ist, eingesehen, und im Vorbeygehen, aber fast unmerklich, getadelt habe.
Die Stelle soll die in der zweyten Satyre des ersten Buchs seyn, wo Horaz zeigen will, "daß "die Narren aus einer Uebertreibung in die an- "dere entgegengesetzte zu fallen pflegen. Fufi- "dius, sagt er, fürchtet für einen Verschwender "gehalten zu werden. Wißt ihr, was er thut? "Er leihet monatlich für fünf Procent, und "macht sich im voraus bezahlt. Je nöthiger der "andere das Geld braucht, desto mehr fodert er. "Er weiß die Namen aller jungen Leute, die "von gutem Hause sind, und itzt in die Welt "treten, dabey aber über harte Väter zu klagen "haben. Vielleicht aber glaubt ihr, daß die- "ser Mensch wieder einen Aufwand mache, der "seinen Einkünften entspricht? Weit gefehlt! "Er ist sein grausamster Feind, und der Vater "in der Komödie, der sich wegen der Entwei- "chung seines Sohnes bestraft, kann sich nicht "schlechter quälen: non se pejus cruciave-
"rit.
rakter entfallen ſeyn. Der fruchtbarſte Kopf ſchreibt ſich leer; und wenn die Einbildungs- kraft ſich keiner wirklichen Gegenſtände der Nach- ahmung mehr erinnern kann, ſo componirt ſie deren ſelbſt, welches denn freylich meiſtens Car- rikaturen werden. Dazu will Diderot bemerkt haben, daß ſchon Horaz, der einen ſo beſonders zärtlichen Geſchmack hatte, den Fehler, wovon die Rede iſt, eingeſehen, und im Vorbeygehen, aber faſt unmerklich, getadelt habe.
Die Stelle ſoll die in der zweyten Satyre des erſten Buchs ſeyn, wo Horaz zeigen will, „daß „die Narren aus einer Uebertreibung in die an- „dere entgegengeſetzte zu fallen pflegen. Fufi- „dius, ſagt er, fürchtet für einen Verſchwender „gehalten zu werden. Wißt ihr, was er thut? „Er leihet monatlich für fünf Procent, und „macht ſich im voraus bezahlt. Je nöthiger der „andere das Geld braucht, deſto mehr fodert er. „Er weiß die Namen aller jungen Leute, die „von gutem Hauſe ſind, und itzt in die Welt „treten, dabey aber über harte Väter zu klagen „haben. Vielleicht aber glaubt ihr, daß die- „ſer Menſch wieder einen Aufwand mache, der „ſeinen Einkünften entſpricht? Weit gefehlt! „Er iſt ſein grauſamſter Feind, und der Vater „in der Komödie, der ſich wegen der Entwei- „chung ſeines Sohnes beſtraft, kann ſich nicht „ſchlechter quälen: non ſe pejus cruciave-
„rit.
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rakter entfallen ſeyn. Der fruchtbarſte Kopf
ſchreibt ſich leer; und wenn die Einbildungs-
kraft ſich keiner wirklichen Gegenſtände der Nach-
ahmung mehr erinnern kann, ſo componirt ſie
deren ſelbſt, welches denn freylich meiſtens Car-
rikaturen werden. Dazu will Diderot bemerkt
haben, daß ſchon Horaz, der einen ſo beſonders
zärtlichen Geſchmack hatte, den Fehler, wovon
die Rede iſt, eingeſehen, und im Vorbeygehen,
aber faſt unmerklich, getadelt habe.
Die Stelle ſoll die in der zweyten Satyre des
erſten Buchs ſeyn, wo Horaz zeigen will, „daß
„die Narren aus einer Uebertreibung in die an-
„dere entgegengeſetzte zu fallen pflegen. Fufi-
„dius, ſagt er, fürchtet für einen Verſchwender
„gehalten zu werden. Wißt ihr, was er thut?
„Er leihet monatlich für fünf Procent, und
„macht ſich im voraus bezahlt. Je nöthiger der
„andere das Geld braucht, deſto mehr fodert er.
„Er weiß die Namen aller jungen Leute, die
„von gutem Hauſe ſind, und itzt in die Welt
„treten, dabey aber über harte Väter zu klagen
„haben. Vielleicht aber glaubt ihr, daß die-
„ſer Menſch wieder einen Aufwand mache, der
„ſeinen Einkünften entſpricht? Weit gefehlt!
„Er iſt ſein grauſamſter Feind, und der Vater
„in der Komödie, der ſich wegen der Entwei-
„chung ſeines Sohnes beſtraft, kann ſich nicht
„ſchlechter quälen: non ſe pejus cruciave-
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 282. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/288>, abgerufen am 22.11.2024.
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