Das klingt so unrecht nicht: aber es ist dar- auf zu antworten. Ueberhaupt: wenn Richard schon keine Tragödie wäre, so bleibt er doch ein dramatisches Gedicht; wenn ihm schon die Schönheiten der Tragödie mangelten, so könnte er doch sonst Schönheiten haben. Poesie des Ausdrucks; Bilder; Tiraden; kühne Gesin- nungen; einen feurigen hinreissenden Dialog; glückliche Veranlassungen für den Akteur, den ganzen Umfang seiner Stimme mit den mannich- faltigsten Abwechselungen zu durchlaufen, seine ganze Stärke in der Pantomime zu zeigen u. s. w.
Von diesen Schönheiten hat Richard viele, und hat auch noch andere, die den eigentlichen Schönheiten der Tragödie näher kommen.
Richard ist ein abscheulicher Bösewicht: aber auch die Beschäftigung unsers Abscheues ist nicht ganz ohne Vergnügen; besonders in der Nach- ahmung.
Auch das Ungeheuere in den Verbrechen par- ticipiret von den Empfindungen, welche Größe und Kühnheit in uns erwecken.
Alles, was Richard thut, ist Greuel; aber alle diese Greuel geschehen in Absicht auf etwas; Richard hat einen Plan; und überall, wo wir einen Plan wahrnehmen, wird unsere Neugierde rege; wir warten gern mit ab, ob er ausgeführt wird werden, und wie er es wird werden; wir lieben das Zweckmäßige so sehr, daß es uns,
auch
Das klingt ſo unrecht nicht: aber es iſt dar- auf zu antworten. Ueberhaupt: wenn Richard ſchon keine Tragödie wäre, ſo bleibt er doch ein dramatiſches Gedicht; wenn ihm ſchon die Schönheiten der Tragödie mangelten, ſo könnte er doch ſonſt Schönheiten haben. Poeſie des Ausdrucks; Bilder; Tiraden; kühne Geſin- nungen; einen feurigen hinreiſſenden Dialog; glückliche Veranlaſſungen für den Akteur, den ganzen Umfang ſeiner Stimme mit den mannich- faltigſten Abwechſelungen zu durchlaufen, ſeine ganze Stärke in der Pantomime zu zeigen u. ſ. w.
Von dieſen Schönheiten hat Richard viele, und hat auch noch andere, die den eigentlichen Schönheiten der Tragödie näher kommen.
Richard iſt ein abſcheulicher Böſewicht: aber auch die Beſchäftigung unſers Abſcheues iſt nicht ganz ohne Vergnügen; beſonders in der Nach- ahmung.
Auch das Ungeheuere in den Verbrechen par- ticipiret von den Empfindungen, welche Größe und Kühnheit in uns erwecken.
Alles, was Richard thut, iſt Greuel; aber alle dieſe Greuel geſchehen in Abſicht auf etwas; Richard hat einen Plan; und überall, wo wir einen Plan wahrnehmen, wird unſere Neugierde rege; wir warten gern mit ab, ob er ausgeführt wird werden, und wie er es wird werden; wir lieben das Zweckmäßige ſo ſehr, daß es uns,
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[214/0220]
Das klingt ſo unrecht nicht: aber es iſt dar-
auf zu antworten. Ueberhaupt: wenn Richard
ſchon keine Tragödie wäre, ſo bleibt er doch
ein dramatiſches Gedicht; wenn ihm ſchon die
Schönheiten der Tragödie mangelten, ſo könnte
er doch ſonſt Schönheiten haben. Poeſie des
Ausdrucks; Bilder; Tiraden; kühne Geſin-
nungen; einen feurigen hinreiſſenden Dialog;
glückliche Veranlaſſungen für den Akteur, den
ganzen Umfang ſeiner Stimme mit den mannich-
faltigſten Abwechſelungen zu durchlaufen, ſeine
ganze Stärke in der Pantomime zu zeigen u. ſ. w.
Von dieſen Schönheiten hat Richard viele,
und hat auch noch andere, die den eigentlichen
Schönheiten der Tragödie näher kommen.
Richard iſt ein abſcheulicher Böſewicht: aber
auch die Beſchäftigung unſers Abſcheues iſt nicht
ganz ohne Vergnügen; beſonders in der Nach-
ahmung.
Auch das Ungeheuere in den Verbrechen par-
ticipiret von den Empfindungen, welche Größe
und Kühnheit in uns erwecken.
Alles, was Richard thut, iſt Greuel; aber
alle dieſe Greuel geſchehen in Abſicht auf etwas;
Richard hat einen Plan; und überall, wo wir
einen Plan wahrnehmen, wird unſere Neugierde
rege; wir warten gern mit ab, ob er ausgeführt
wird werden, und wie er es wird werden; wir
lieben das Zweckmäßige ſo ſehr, daß es uns,
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[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. 214. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/220>, abgerufen am 24.11.2024.
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