Hamburgische Dramaturgie. Acht und siebzigstes Stück.
Den 29sten Januar, 1768.
2. Da die Gegner des Aristoteles nicht in Acht nahmen, was für Leidenschaften er eigentlich, durch das Mitleid und die Furcht der Tragödie, in uns gereiniget ha- ben wollte: so war es natürlich, daß sie sich auch mit der Reinigung selbst irren mußten. Ari- stoteles verspricht am Ende seiner Politik, wo er von der Reinigung der Leidenschaften durch die Musik redet, von dieser Reinigung in seiner Dichtkunst weitläuftiger zu handeln. "Weil "man aber, sagt Corneille, "ganz und gar "nichts von dieser Materie darinn findet, so ist "der größte Theil seiner Ausleger auf die Ge- "danken gerathen, daß sie nicht ganz auf uns "gekommen sey." Gar nichts? Jch meines Theils glaube, auch schon in dem, was uns von seiner Dichtkunst noch übrig, es mag viel oder wenig seyn, alles zu finden, was er einem,
der
C c
Hamburgiſche Dramaturgie. Acht und ſiebzigſtes Stück.
Den 29ſten Januar, 1768.
2. Da die Gegner des Ariſtoteles nicht in Acht nahmen, was für Leidenſchaften er eigentlich, durch das Mitleid und die Furcht der Tragödie, in uns gereiniget ha- ben wollte: ſo war es natürlich, daß ſie ſich auch mit der Reinigung ſelbſt irren mußten. Ari- ſtoteles verſpricht am Ende ſeiner Politik, wo er von der Reinigung der Leidenſchaften durch die Muſik redet, von dieſer Reinigung in ſeiner Dichtkunſt weitläuftiger zu handeln. „Weil „man aber, ſagt Corneille, „ganz und gar „nichts von dieſer Materie darinn findet, ſo iſt „der größte Theil ſeiner Ausleger auf die Ge- „danken gerathen, daß ſie nicht ganz auf uns „gekommen ſey.„ Gar nichts? Jch meines Theils glaube, auch ſchon in dem, was uns von ſeiner Dichtkunſt noch übrig, es mag viel oder wenig ſeyn, alles zu finden, was er einem,
der
C c
<TEI><text><body><pbfacs="#f0207"n="[201]"/><divn="1"><head><hirendition="#b">Hamburgiſche<lb/><hirendition="#g">Dramaturgie</hi>.<lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/>
Acht und ſiebzigſtes Stück.</hi></head><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><dateline><hirendition="#c">Den 29ſten Januar, 1768.</hi></dateline><lb/><milestonerendition="#hr"unit="section"/><lb/><p>2. <hirendition="#in">D</hi>a die Gegner des Ariſtoteles nicht in<lb/>
Acht nahmen, was für Leidenſchaften<lb/>
er eigentlich, durch das Mitleid und<lb/>
die Furcht der Tragödie, in uns gereiniget ha-<lb/>
ben wollte: ſo war es natürlich, daß ſie ſich auch<lb/>
mit der Reinigung ſelbſt irren mußten. Ari-<lb/>ſtoteles verſpricht am Ende ſeiner Politik, wo<lb/>
er von der Reinigung der Leidenſchaften durch<lb/>
die Muſik redet, von dieſer Reinigung in ſeiner<lb/>
Dichtkunſt weitläuftiger zu handeln. „Weil<lb/>„man aber, ſagt Corneille, „ganz und gar<lb/>„nichts von dieſer Materie darinn findet, ſo iſt<lb/>„der größte Theil ſeiner Ausleger auf die Ge-<lb/>„danken gerathen, daß ſie nicht ganz auf uns<lb/>„gekommen ſey.„ Gar nichts? Jch meines<lb/>
Theils glaube, auch ſchon in dem, was uns<lb/>
von ſeiner Dichtkunſt noch übrig, es mag viel<lb/>
oder wenig ſeyn, alles zu finden, was er einem,<lb/><fwplace="bottom"type="sig">C c</fw><fwplace="bottom"type="catch">der</fw><lb/></p></div></body></text></TEI>
[[201]/0207]
Hamburgiſche
Dramaturgie.
Acht und ſiebzigſtes Stück.
Den 29ſten Januar, 1768.
2. Da die Gegner des Ariſtoteles nicht in
Acht nahmen, was für Leidenſchaften
er eigentlich, durch das Mitleid und
die Furcht der Tragödie, in uns gereiniget ha-
ben wollte: ſo war es natürlich, daß ſie ſich auch
mit der Reinigung ſelbſt irren mußten. Ari-
ſtoteles verſpricht am Ende ſeiner Politik, wo
er von der Reinigung der Leidenſchaften durch
die Muſik redet, von dieſer Reinigung in ſeiner
Dichtkunſt weitläuftiger zu handeln. „Weil
„man aber, ſagt Corneille, „ganz und gar
„nichts von dieſer Materie darinn findet, ſo iſt
„der größte Theil ſeiner Ausleger auf die Ge-
„danken gerathen, daß ſie nicht ganz auf uns
„gekommen ſey.„ Gar nichts? Jch meines
Theils glaube, auch ſchon in dem, was uns
von ſeiner Dichtkunſt noch übrig, es mag viel
oder wenig ſeyn, alles zu finden, was er einem,
der
C c
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
[Lessing, Gotthold Ephraim]: Hamburgische Dramaturgie. Bd. 2. Hamburg u. a., [1769], S. [201]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/lessing_dramaturgie02_1767/207>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.